Einige Bemerkungen zu C. F. v. Weizsäcker: „Der bedrohte Frieden- heute“.
In meinen Parteikreisen, den unteren, diskutiert man über die gute Übereinstimmung von Prognose und Realität der gesellschaftlichen Entwicklung bei v. Weizsäcker. Überblickt man unsere auf der Grundlage der marxistischen Gesellschaftstheorie aufgestellten Prognosen und Erwartungen so muss man feststellen: Sie lagen alle weit jenseits der Realität; nicht wegen der Anwendung des historischen und dialektischen Materialismus´ sondern trotz seiner Anwendung. Dialektiker sind die Naturwissenschaftler von Hause aus. Ihnen ist vertraut, dass sich dynamische Systeme niemals über unbestimmt lange Zeit nur kumulativ entwickeln, wir haben dafür früher das Wort quantitativ gebraucht. Hat die Entwicklung eine bestimmte Entwicklungsebene ausgefüllt schlägt die Entwicklung in einen qualitativen Umbruch um, für die menschliche Gesellschaft haben wir für diesen Vorgang das Wort Revolution gebraucht. Wenn der Gebrauch dieses Wort unserer Regierungsfähigkeit wegen jetzt auch verpönt ist, am Fakt ändert das nichts. Auf einer neuen Entwicklungsebene beginnt das Spiel dann von vorn: Anfangs rasche quantitative Entwicklung, später sich mehrende Krisenerscheinungen bis zum erneuten qualitativen Umbruch. Dieser grundsätzliche Entwicklungsrhythmus gilt im Weltall wie auf Erden und auch wir Menschen können uns ihm in unserer gesellschaftlichen Entwicklung nicht entziehen. Der Philosoph Hegel hat den Spruch hinterlassen: „Alle Dialektik lässt das gelten, was gelten soll – als ob es gelte; lässt die innere Zerstörung selbst sich daran entwickeln“. Setzt man für den Satzteil „was gelten soll“ unseren großen Versuch ein, gleichgültig ob DDR oder UdSSR, so kann man diese Hegelsche Feststellung prima konkretisieren. Eine wunderbare Untersuchung zur Dialektik der Wissenschaft hat Thomas S. Kuhn mit seinem Buch geleistet: „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“. Für uns Linke ist dieses Buch, nur klein im Umfang, besonders schön zu lesen, weil er die qualitativen Umbrüche in der Wissenschaft Revolutionen nennt. Er darf das, ein US- amerikanischer Professor der theoretischen Physik. Ich habe vergeblich versucht, in unserer Partei zu diesem Buch eine Diskussion zu organisieren. Sie wäre auch heute noch oder erst recht notwenig und hilfreich. Diese Umbrüche sind ganz allgemein zeitlich und im Ergebnis schwer bis nicht bestimmbar. Man denke nur an die großen Geister der französischen Aufklärung. Keiner dieser wahrhaft großen Wissenschaftler hat sich auch nur im Entferntesten die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse 50 Jahre nach der Großen Französischen Revolution in Frankreich vorstellen können. Die dialektische Denkweise lässt uns gesellschaftliche Entwicklungen verstehen. Sie vollziehen sich zwangsweise und wir sind nicht Herr dieser Entwicklungen. Wenn wir uns und unsere Vergesellschaftung als Teil der Natur betrachten, und das sind wir nur, kann man mit dieser Betrachtungsweise kein Problem haben. Wir sind nicht nur Dialektiker, sondern auch noch Materialisten. Auf dieser Grundlage haben Marx und Engels eine tatsächlich große Entdeckung gemacht, die auch heute noch ihre Gültigkeit hat: Gesellschaftliche Systeme entwickeln sich nicht entsprechend geistiger Vorstellungen, weder rechter noch linker Philosophien noch auf der Grundlage von Religionen gleich welcher Art. Sie entwickeln sich auf der Grundlage des Standes unserer materiellen Produktion, der Produktionsverhältnisse mit ihrem Kern, der dominierenden Produktionsweise. Alle Weltverbesserungstheorien wurden von uns als utopisch eingeschätzt – mit Recht, und sie haben sich auch alle als utopisch erwiesen. Es galt eine einzige Ausnahme – unsere Theorie. Sie sollte in der Lage sein, wenn sie die Massen ergreift und zur revolutionären Gewalt wird die Richtschnur zu bilden beim Aufbau der neuen sozialistischen Gesellschaft. Wir sollten nicht mehr darüber diskutieren müssen, das unsere marxistische Gesellschaftstheorie so utopisch war wie all die anderen Utopien auch.
Es fehlt eine genaue Definition des Begriffes Produktionsweise. Was ist das charakteristische der „kapitalistischen Produktionsweise“. Sehen wir uns dazu in der modernen großen Industrie um, dann stellt man fest: Dort stehen oder sitzen Bandarbeiter in großer Zahl an einem Fließband und verrichten relativ wenige aber gut eingeübte und rasche Handgriffe an einem Produktionsgegenstand. Es findet keine persönliche Kommunikation zwischen den nebenstehenden Arbeitskräften statt. Am klassischen Fordschen Fließband war das Sprechen direkt verboten und es wurden gern Menschen mit unterschiedlicher Muttersprache nebeneinander gestellt. Mit der klassischen Definition von Marx zur menschlichen Arbeit hat das nicht das Geringste zu tun. Dann gibt es am Fließband noch Aufseher und Technologen, die das Fließband überwachen. Und es gibt zunehmend selbstständige Ingenieurbüros, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Anwendung für das Fließband aufbereiten. Und dann gibt es den Geldmann, den Kapitalisten, der den Produktionsprozess vorfinanziert und dafür den Gewinn einstreicht. Es war unsere Grundüberzeugung: Wenn wir das private Eigentum an den Produktionsmitteln ausschalten, also den Kapitalisten ausschalten und damit den Widerspruch aufheben zwischen dem gesellschaftlichen Produktionsprozess und der privatkapitalistischen Aneignung des Gewinnes - dann verändern wir diese Produktionsweise grundlegend. Wir machen den Arbeiter zum Herrn des Produktionsprozesses und schaffen so die Voraussetzung für den Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung. Dieser Glaube war ein grundsätzlicher Irrtum. Es hatten sich die Eigentumsverhältnisse verändert, die Bandarbeit aber war geblieben. Das Ergebnis des 40 bzw. 70jährigen Versuches ist eindeutig und ernüchternd. Nach den vielen Jahren der Agitation und Propaganda, dass das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln das wertvollste Eigentum der Arbeiterklasse darstellt haben die Arbeiter in der DDR dieses Eigentum vertrauensvoll in die Hände ihrer westdeutschen Brüder und Schwester, der kapitalistischen, gelegt und die sowjetischen Arbeiter haben nach gar 70 Jahren Schulung ohne Reaktion zugesehen, wie sich die oberste Schicht von Komsomol- Partei- und Staatsfunktionären diesen Reichtum unter ihren privatkapitalistischen Nagel gerissen hat. Unter der Dunstglocke sozialistischer Agitation und Propaganda hatte sich eine neue Klasse entwickelt, die in einer Staatskrise nur den löchrig gewordenen Sozialistenpelz abzuwerfen brauchte - und vor uns stand eine neue reinrassige und mafiöse Kapitalistenklasse. Der Arbeiter am Fließband bleibt ein Arbeiter und dieser Ideologie verhaftet. Die Produktionsweise hat sich durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel nicht grundsätzlich verändert und die kapitalistische Gesellschaftsordnung bleibt die für diese Produktionsweise passende Gesellschaftsordnung. Der Versuch hat es bewiesen. Man kann das Scheitern unseres großen Versuches auch mit einem ganz allgemeinen dialektischen Grundsatz begründen. Dynamische Systeme bestehen stets aus gegeneinander wirkenden Komponenten, die von einer Zentralkraft zusammengehalten werden. Im Weltall ist es die Schwerkraft, die die Systeme zusammen hält, auf Erden ist es die Unmöglichkeit, als Einzelwesen aber auch als kleine Gruppe außerhalb der Gesellschaft zu existieren. Zur Homogenität strebende Systeme sind sterbende Systeme, was gleichbedeutend ist mit einem qualitativen Umbruch. In unserem Verständnis war es ein konterrevolutionärer Umsturz. Das aber ist alles das Gleiche. Was nun? Weizsäcker kennt keine Alternative, die von Marx ist gescheitert und Eric Hobsbawn sieht am Ende seines dicken Buches nur die Finsternis. Ich sehe sie nicht, ich sehe eine stürmische und interessante Zeit auf uns zukommen.
Wer an einer Betriebsbesichtigung, der Besichtigung einer modernen Produktionslinie teilnimmt kann sich nur wundern, wie wenige Menschen da arbeiten. Wir befinden uns in einem stürmischen Prozess der Ablösung des Bandarbeiters durch Automaten. Die Automatisation unserer industriellen Großproduktion und die Ablösung des Bandarbeiters durch den Automaten wird das Charakteristikum der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts sein. Dieser Prozess läuft vor unseren Augen ab. Er löst ganz entscheidende Veränderungen in unserem gesellschaftlichen Leben aus. Es lohnt sich ein Blick in die Geschichte des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. Da gibt es seltsame Parallelen und die sprunghafte Entwicklung der Arbeitsproduktivität, Grundlage für die Verbesserung der Lebensqualität aller Menschen schlägt in beiden Fällen in das genaue Gegenteil um, die Verelendung breiter Bevölkerungskreise. Wir Linken verweigern uns seltsamer Weise so einer Betrachtungsweise. Ich möchte an dieser Stelle ein historisches Beispiel von gesellschaftswissenschaftlicher Blindheit anführen. Adam Smith, der berühmte Vater der Arbeitswerttheorie, hochgeachtet von Karl Marx, hat sich um 1770/75 sehr intensiv mit der chinesischen Volkswirtschaft beschäftigt. Er hat sie bewundert und war überzeugt, dass Westeuropa noch unbestimmt viele Jahre benötigt, um mit China gleich zu ziehen. Es gab in seinen damaligen Schriften auch nicht ein leichtes Anzeichen für ein Verständnis, dass England am Beginn eines neuen Zeitalters stand, dem Zeitalter der industriellen Revolution. Aber 70 Jahre später, nur zwei Generationen weiter, führte England keine Batiststoffe aus Indien mehr ein sondern zwang Indien seinen Kattun auf und führte die dazu nötige Baumwolle aus Indien ein und verursachte mit der Zerstörung der indischen textilen Heimindustrie fürchterliche Hungersnöte in Indien. Und China zwang es in den Opiumkriegen sein Land zu öffnen für das in Ostindien produzierte Opium. Innerhalb zweier Generationen war England zur Werkstatt der Welt geworden und hatte mit seiner wirtschaftlichen Macht die alten Kolonialmächte aus ihren Kolonien verdrängt. Es war der Zugriff auf die neue Energiequelle Kohle und die Erkenntnis, dass man mit der Verkokung der Kohle, dem Koks, die Holzkohle vollständig ersetzen kann, der die Produktion von Eisen und Stahl in bisher undenkbaren Mengen ermöglichte. Adam Smith als Zeitzeuge hat von diesem revolutionären Sprung nichts geahnt. Ich bin überzeugt, die Automatisation unserer materiellen Produktion wird einen wirtschaftlichen Sprung von ähnlichem Format und in einem ähnlichen Zeitraum auslösen. Dieser Prozess ist nicht aufhaltbar. Er wird von der Naturwissenschaft vorangetrieben. Geht er ungeordnet vor sich, treten die bösen Prophezeiungen v. Weizsäckers im Vorfeld ein. Die gesellschaftlichen Verwerfungen, die jetzt die Randzonen der EU erschüttern, werden im Laufe der Entwicklung auch die industriellen Zentren erreichen dann tritt genau das ein, was auch Marx schon vorausgesehen hat. Der Fortschritt in der materiellen Produktion kommt zum Stillstand bzw. wird von ständigen Krisen erschüttert, nicht weil kein Bedarf für die erzeugten Produkte vorhanden ist sondern weil die modernen Erzeugnisse von großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr gekauft werden können, es fehlt die Kaufkraft. Von diesen Krisenzeiten werden auch die Technologen und die selbstständigen Entwicklungsingenieure mit ihren Büros in Mitleidenschaft gezogen. Sie leben davon, dass die Automatisation immer weiter voran getrieben wird. In Krisenzeiten gehen die Aufträge zurück bzw. die erzeugten Produkte können nicht mehr abgesetzt werden. Das ist genau die Klasse, von der Marx sagt: Sie sind mit dem modernen Produktionsprozess verbunden sind, ihre Produktionsmittel sind aber ihr Privateigentum und entsprechend die erzeugten Produkte auch. Diese Klasse, die sich noch in der Formierung befindet, wird sich, wenn die Unruhen auch die zentralen Industriestaaten erfassen, an die Spitze der Bewegung stellen. Nicht aus humanitären Gründen, sondern aus klassenbedingten Interessen. Sie wollen produzieren und verkaufen. Dazu muss die Massenkaufkraft erhöht werden, die Massenarbeitslosigkeit rasch und konsequent abgebaut werden durch Senkung der Arbeitszeiten pro Woche und Leben und die großen Vermögen müssen liquidiert werden, siehe Große Französische Revolution. Eine homogene Gesellschaft nach unseren alten sozialistischen Vorstellungen wird sich nicht entwickeln, das widerspricht dialektischen Grundprinzipien. Das Lebensniveau der breiten Bevölkerung wird aber zweifellos auf ein Lebensniveau gehoben, das der Wirtschaft weiteres Wachstum ermöglicht. Der Weg dahin ist nicht aufhaltbar aber gestaltbar. Die im Parteiprogramm verankerten Thesen, die im Wesentlichen auf Lafontaine zurückgehen, bilden eine klare Richtschnur, was zu tun ist. Die mit der gegenwärtigen und künftigen gesellschaftlichen Entwicklung für uns Linke verbundenen theoretischen Schwierigkeiten sind lösbar. Alfred Granowski hat mit seinem Buch: „Weg aus der Orientierungslosigkeit – die Gesetzlichkeit in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft“ einen grundlegenden Anfang gemacht. Ich kann dieses Buch in Verbindung mit Kuhns: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ nur zum Studium empfehlen. Es ist außerordentlich befreiend, sich einen neuen Blick auf die vor sich gehenden gesellschaftlichen Prozesse erarbeiten zu können. Mit so einem neuen Blick gerät man unweigerlich auf die linke Seite linker Bewegungen. Denn es bleibt die Grunderkenntnis: Klassengesellschaften werden im Klassenkampf gestaltet. Man wird aber von links und rechts mit den Ausdrücken beschimpft, die schon in der Kirche verbreitet waren bei der Überwindung kirchlicher Dogmen. Man muss das in Kauf nehmen. Entweder wir entwickeln eine neue Gesellschaftstheorie, die uns hilft, die gegenwärtigen Entwicklungen tatsächlich zu verstehen oder wir werden den Weg all der linken Bewegungen Westeuropas und Nordamerikas gehen. Den dunklen Pessimismus von Eric Hobsbawn zu unserer gesellschaftlichen Entwicklung teile ich nicht. Wir können wissen, wohin wir gehen, gelenkt oder nicht. Wir gehen in ein oder zwei Generationen einer Revolution entgegen und sie bedeutet nicht die Finsternis. Finsternis, gesellschaftlicher Rückfall - siehe die Antike und z. B. Spanien und Portugal am Ende des Mittelalters - wird sich nur ergeben, wenn die kommenden Generationen das anstehende energetische Problem nicht lösen. Dazu können zur Zeit keine Aussagen gemacht werden.
Lothar Ratai
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05.11.2012 14:48
#2 RE: Einige Bemerkungen zu C. F. v. Weizsäcker: Der bedrohte Frieden
Zur praktischen Diskussion 5. 11. 2012 Zur praktischen Diskussion
1. Wer jetzt, 20 Jahre nach dem Zusammenbruch unseres großen Versuches, eine neue Gesellschaft aufzubauen und der restlosen und weitgehend gewaltfreien Beseitigung aller unserer „sozialen Fortschritte“ immer noch die Ursachen im menschlichen Versagen vorwiegend unserer alten Führungselite sucht, ist nicht von dieser Welt. Auf dieser Ebene lohnt sich keine Diskussion. Eine derartige Truppe hat ein Brett vor dem Kopf. 2. Ganz ähnlich ist eine Diskussion zu der gottgewollten Führungsrolle der Arbeiterklasse auf dem Marsch in eine sozialistische Zukunft. Wer an diesem Grundaxiom der marxistischen Gesellschaftstheorie nicht wenigstens zweifelt, dem ist nicht zu helfen. Man kann solchen Leuten allerdings zugute halten, sie wissen: Fällt in einer Theorie ein Axiom, noch dazu das Zentralaxiom, fällt die gesamte Theorie. Davor kann man schon Angst bekommen, wenn das ganze vertraute Denkgebäude zusammen zu fallen droht. 3. Den Zugang zu einer neuen Denkebene findet man wahrscheinlich am leichtesten über eine Diskussion zur Produktionsweise. Wir sind Materialisten - hoffe ich. Es bleibt eine große Entdeckung von Marx und Engels, dass sich Gesellschaftsordnungen auf der Grundlage der Produktionsverhältnisse entwickeln. Überblickt man allerdings 250 Jahre kapitalistischer Gesellschaftsentwicklung, dann können daran schon Zweifel aufkommen. In diese Zeit fällt eine ungeheuere Zahl von naturwissenschaftlichen Entdeckungen, die in immer kürzerer Zeit in die materielle Produktion überführt werden. Echte naturwissenschaftliche Revolutionen gab es in diesem Zeitraum. An der grundlegenden kapitalistischen Gesellschaftsstruktur aber hat sich nichts verändert. Und als Lenin vor hundert Jahren festgestellt hat, dass diese Gesellschaftsordnung in ihr verfaulendes Stadium übergegangen ist, war das eine völlig falsche Aussage. Damals begann gerade die Elektroenergie ihren Siegeszug in die materielle Produktion. Die Einführung neuer Energieformen, dazu gehören auch die Vergaserkraftstoffe, führten überhaupt erst zur vollen Entfaltung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. An der grundlegenden und dominierenden Produktionsweise in den Fabriken hat sich aber in diesem Zeitraum nichts geändert. An den Fließbändern stehen große Mengen von Arbeitern, die Griffe klopfen, die nur einen ganz schmalen Abschnitt des Produktionsprozesses beherrschen und auch nur beherrschen sollen! Es gibt auch keine Kooperation zwischen diesen Arbeitern am Arbeitsplatz. Im Gegenteil! An dem klassischen Fordschen Fließband war Sprechen verboten. Mit der Marxschen Definition menschlicher Arbeit hat diese Arbeiterarbeit nicht das Geringste zu tun. Neben dem Arbeiter gibt es den Technologen unterschiedlicher Qualifikation, vom Beaufsichtiger des Fließbandes bis zu Denjenigen, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse in die praktische Produktion überführen. Und dann gibt es die Geldleute, die Kapitalisten, die den Produktionsprozess vorfinanzieren mit dem Ziel des Profitmachens. Es hat sich gezeigt: Das entscheidende, charakteristische am Band sind die Arbeiter, die geringqualifizierte aber notwendige Arbeit verrichten und eine wesentlich geringere Zahl von Menschen, die den gesamten Arbeitsprozess übersehen, leiten, organisieren, weiterentwickeln. Die Besitzverhältnisse an den Produktionsmitteln spielen nicht die entscheidende Rolle! Was für eine Blasphemie. Denn das war unser entscheidender revolutionärer Ansatzpunkt! Die Überführung der Produktionsmittel in Volkseigentum sollte die Grundlage bilden für die Schaffung einer neuen Gesellschaftsordnung und die Befreiung der Arbeiter aus der Lohnsklaverei. In der Praxis hat sich dieses Volkseigentum zu Staatseigentum entwickelt und die Träger dieses Staatseigentums waren nicht mehr die Arbeiter der Fabriken, sondern die Staats- und Parteielite. Und die Arbeiterklasse hat ihr angestammtes Klassenbewusstsein wiedererlangt, trotz gegenteiliger Agitation und Propaganda. Dieser Prozess hatte sich in der Sowjetunion vollendet, in der DDR fehlte noch eine Generation dazu. Dass dieser Prozess wissenschaftlich nie aufgearbeitet worden ist liegt einmal daran, dass marxistische Gesellschaftswissenschaftler die unteren Bevölkerungsschichten und Klassen wohl besuchen aber nicht in ihnen leben. Und schließlich: Solche entlarvenden Untersuchungen zur neu sich formierenden Elite hätte sowohl die sich formierende Elite zu verhindern gewusst als auch die noch immer im rosaroten Himmel schwebende alte Elite mit KZ- Vergangenheit. Solange Bandarbeit die bestimmende Produktionsweise einer Wirtschaft ist, wird sie kapitalistisch sein. Es ist seltsam! Vor unseren Augen wird diese Produktionsweise aufgehoben - aber wir sehen es nicht! Der Bandarbeiter wird durch den Automaten ersetzt, die Automatisierung unserer materiellen Produktion wird das Charakteristikum der ersten Hälfte dieses Jahrhundert sein. Billiglohnländer, in die wir mit einigen Produktionszweigen ausweichen wird diese Entwicklung einholen. Haben wir uns soweit durchgerungen, könnten wir in eine tatsächlich fruchtbare Diskussion einsteigen. Und seltsam, wir würden am linken Rand linker Bewegungen stehen.
Es ist erschreckend - Dein Beitrag steht schon zwei volle Tage hier im Forum, und wiedermal bin ich der Einzige, der dazu schon sofort antworten wollte. Ich musste mich aber zurück halten, damit man mir nicht wieder "Dominiersucht" vorwerfen kann.
Zuerst möchte ich Dir Dank sagen, dass Du in dieser Form eingestiegen bist. Versprochen und gefordert hast Du das ja schon vor etwa einem halben Jahr. Ich habe schon dmals geschrieben, dass es höchste Eisenbahn ist, zur gründlichen geistigen Kommunikation vorzustoßen. Als Nicht-Wissenschaftler kann ich solches nur anregen. Es gelang mir nicht. Dann versuchte ich es mit Provogation. Auch das half nicht. Mein neuester Beitrag /"Die größte Lüge..."/ ist auch nur gelesen worden. Du bist als Einziger darauf eingegangen. Du hast auch sofort eine sehr richtige Fortsetzung meiner (ganz anders geformten) Darlegung gezeigt. Das ist das Verhältnis der Naturbedingugen Naturbedingungen zum wissenschaf-technischen Fortschritt. Darin bestand ja auch Mit Recht die (einzige) Kritik, die Marx den Verfechtern des geografischen Determinismus vorgeworfen hat. Das kommt mir, ehrlich gesagt, ein bisschen zu früh. Deshalb will ich jetzt erst eilnmal nachholen, was man einfach nicht übergehen darf. Mehr noch, ich will hier auf die Rolle der Naturbedingungen noch reichlicher und konkreter eingehen.
Niederschmetternd die Daten vom Nachkriegsstand um 1950 (laut Statist. Jahrbuch der DDR 1987):
Zudem Thema schrieb ich außerdem vor zwei Jahren in meinem Diskussions-Fazit "Neues Denken in der Linken":
"Die Erfahrungen des real gewesenen Sozialismus, speziell der DDR, können nur dann wahrheitsgetreu eingeschätzt werden, wenn wir nach marxistischer, sprich: nach materialistischer Weltanschauung vorgehen. Demnach sind die Erscheinungen des Überbaus immer mehr oder weniger das Produkt der materiellen Basis, auf der die Ereignisse vor sich gehen. Hier also mal eine kurzgefasste Liste von materiellen Vorzügen, die die BRD von Anfang bis Ende des kalten Krieges hatte, die DDR aber nicht oder fast nicht: Rund sieben Milliarden Tonnen bester Steinkohle aus eigenem Aufkommen (d.h. Gelderlös blieb im Land), rund 600 Millionen Tonnen Eisenerz (dito), jährlich 200-250 000 Tonnen Edelfisch vor der Haustür (Nordsee, wo DDR gesperrt war), zehn Wasserkraftwerke allein am Rhein, eisfreie Hochseehäfen und –Werften, dicht am Ruhrgebiet, an den Zulieferbetrieben und am Weltmarkt, fast die gesamte Schwermetallurgie Deutschlands (links die Kohle, rechts das Erz), Tausende von nicht ausgeräumten Industriebetrieben, doppelte Gleise zwischen allen kleinen und großen Städten, jährlich 12 Millionen Hl Markenweines, Überfluß an Süßwasser in den Industriegebieten, 800 mm Niederschlag in der Landwirtschaft (DDR: 600 mm), von Marshall-Plan, Hitlergold und Rückzahlung der Kriegsgewinne an die Großbetriebe, massiven Investitionen der eigentlichen Siegernationen ganz zu schweigen (Auszug aus meiner Schrift „Der Untergang der 2. Welt“, 1999, Reinhard Thon Verlag Schwerin). „Wer das Ruhrgebiet hat, hat Deutschland“, soll mal ein alter Kölner Separatist gesagt haben und agitierte für die Gründung eines Deutschen Rheinstaates. All das zusammen gefasst, ermöglichte es der BRD, schnell in den Kreis der "Großen" vorzudringen, und das wiederum - fremde Länder auszuplündern. Der ständige Mangel an all den Vorzügen führte andererseits in der DDR zu negativen Not- und Gewaltmaßnahmen. Der kontinuierlich drückende Rückstand des Lebensstandards lenkte den Blick der Menschen selbstverständlich nach dem Westen, dagegen halfen nun mal auch die noch so gut gemeinten Verbesserungen unserer Sozialeinrichtungen nicht. Mit einem kleinen Journalisten Gübter Brock koann und konnte man´s ja machen.
Mein Zehn-Seiten-Pamchlet ist damals an viele Genossen gegangen. ES wurde genauso unterschlagen wie Anno 1980 unter "Genossen" Schabowski mein Buch "Moskau vertretungsweiwe" (Hinsttorf) und auch meine 5 Seiten lange Konzeption "Der russische Winter und die Arbeitsproduktivität".
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Sehr interessant und wichtig ist auch der folgende Spruch in Deinem leider hier zu wenig beachteten Posting:
"Hat die Entwicklung eine bestimmte Entwicklungsebene ausgefüllt schlägt die Entwicklung in einen qualitativen Umbruch um, für die menschliche Gesellschaft haben wir für diesen Vorgang das Wort Revolution gebraucht. Wenn der Gebrauch dieses Wort unserer Regierungsfähigkeit wegen jetzt auch verpönt ist, am Fakt ändert das nichts. Auf einer neuen Entwicklungsebene beginnt das Spiel dann von vorn: Anfangs rasche quantitative Entwicklung, später sich mehrende Krisenerscheinungen bis zum erneuten qualitativen Umbruch. Dieser grundsätzliche Entwicklungsrhythmus gilt im Weltall wie auf Erden und auch wir Menschen können uns ihm in unserer gesellschaftlichen Entwicklung nicht entzieh
Nun ist ja diese Erkenntnis allen, die eine gründliche Marxismusbildung genossen haben, bekannt. Aber viele , auch Genossen, hatten solche Bildung nicht, verbessen oder noch nie gehört haben sie vergessen. Umsomehr ist es zu begrüßen, dass Du sie hier vorbringst. Denn - die Unkenntnis oder Unterschätzung des Sprunges von einer Quantität einer Bewegung der Gesellschaft sind es, die Millionen von Menschen bedenkenlos machen, einlullen und ins Elend oder gar ins Verderben stürzen lassen. Das kann man leider gerade in der jetzigen Gegenwart massenhaft erleben. Mehr noch, das Großkapital baut auf diese Nachlässigkeit. Eine meiner bösesten Erfahrungen auf diesem Gebiet sind die häufigen Bemerkungen von Genossen unserer hiesigen eigenen Partei, wenn ich in einem Gespräch frage: "Wie erklärst Du Dir die Stagnation unserer Partei, wie lange wollen wir darauf noch so wenig einwirken?" Darauf bekam ich schon mehrmals die Antwort: "Den Leuten geht es noch zu gut. Lass es ihnen mal noch mehr an den Geldbäutel gehen, dann kommen sie zu uns..." Auf soviel Flachköpfigkeit habe ich dann immer nur die Antwort: "Weißt Du nicht, was in so einem Fall passiert? Hast Du noch nichts vom Jahr 1933 gehört? Diktatur! Kriegsvorbereitung, da wählst Du keine neuen Mitglieder mehr. Und das kam über Nacht!"
So ist das: Und wir? Statt mehr Schulung vergeuden wir die Zeit mit innerparteilichen Machtkämpfen!
Und mir fälllt noch eine Ergänzung ein: Wie nachlässig unsere Partei unter der gegenwärtigen Fürung mit der geistigen Auseinandersetzung umgeht, zeigt sich ja auch in ihrer Haltung zu unserem Forum: Verweigerung von Antworten auf Fragen, Ausweichen vor Kritiken, keinerlei Eingreifen in politische Diskussionen...
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Hallo Lothar! Ich vermisse Dich auf der Aren. Ralf und ich sind überlastet. Jetzt fährt er sogar auch noch in Urlaub. Aber das nur nebenbei...
Folgender Abschnitt Deiner "Bemerkungen..." hat mich außer den schon erwähnten und von mir aufgegriffenen Darlegungen besonders bewegt:
Alle Weltverbesserungstheorien wurden von uns als utopisch eingeschätzt – mit Recht, und sie haben sich auch alle als utopisch erwiesen. Es galt eine einzige Ausnahme – unsere Theorie. Sie sollte in der Lage sein, wenn sie die Massen ergreift und zur revolutionären Gewalt wird die Richtschnur zu bilden beim Aufbau der neuen sozialistischen Gesellschaft. Wir sollten nicht mehr darüber diskutieren müssen, das unsere marxistische Gesellschaftstheorie so utopisch war wie all die anderen Utopien auch.
Es gehört ja schon geradezu Mut dazu, so etwas heute zu sagen oder gar zu schreiben. Aber - es stimmt einfach. Ich hatte in der letzten Zeit gar manchen Zweifel, Unsicherheit u.ä. Ich blätterte nach - ich wurde wieder sicher. Du sprichst in dem Zusammenhang mehrmals von Theorie. Natürlich trifft der Begrieff auch auf manches bei Marx. Ich aber habe mir, wenn ich von Marx spreche, angewöhnt, sein Werk in der Übermacht nicht als Theorie, sondern als Erkenntnis zu titulieren. Das trifft meiner Überzugung nach mehr zu. Wie siehst Du das?
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