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Dieses Thema hat 25 Antworten
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Seiten 1 | 2
Pharmd70 ( Gast )
Beiträge:

05.06.2014 08:27
#16 Good info Antworten

Very nice site!

Pharmf859 ( Gast )
Beiträge:

06.06.2014 14:35
#17 Good info Antworten

Very nice site!

Pharmg602 ( Gast )
Beiträge:

08.06.2014 02:58
#18 Good info Antworten

Very nice site!

Pharmc97 ( Gast )
Beiträge:

09.06.2014 09:46
#19 Good info Antworten

Very nice site!

BüBro Offline



Beiträge: 1.510

12.06.2014 12:43
#20 RE: Good info Antworten

Zitat von Gast im Beitrag #19
Very nice site!


Eine gute Seite?
Meine Seite zum Nazismus?
Ja, das ist der Fall!
Ich war einer der letzten der sogenannten „Hitlerjungen“, der „Pimpfe“. Vom 1. 1. 1944

Was habe ich da nicht alles erlebt!!!
Mein Vater wollte nicht, dass ich eintrat. Er war ein geschundener Arbeiter in der Kohle und auf den Autopahnstrecken, dann in der Waffenproducktion (10 Stunden für Mindestlohn), lange „unabkömmlich“, weil er ausgezeichneter Gewehr-Rohrrichter wurde, dann aber doch noch an die Ostfront (halb tot später aus der Gefangenschaft zurück und tot mit 41 Jahren).
„Wenn du musst“, sagte er dann, „aber Geld für die Uniform – nicht von mir“.
Mutter kaufte doch das gelbe Hemd und die schwarze Hose. Das war ja Vorschrift, wie bei all den an deren ‚Arbeiterjungs der Gubener Schprucke.
Es machte Spaß – so richtig was für kraftprüfende Bengels, dann exerzieren, und:
„Fähnlein Acht – still gestanden!“ Und so weiter. Eins aber war Sache: Die Schprucke Jungs gingen bis der Schnee kam – barfuß. Sogar beim Aufmatsch aufs Stattkommando.
Dann erst rückten die Russen heran bis an die Gubener Berge.
Was dann geschah – hier wiederhole ich es noch einmal: in Teil zweil zwei

--------------------------
Wir brauchen keine Millionäre

BüBro Offline



Beiträge: 1.510

12.06.2014 12:57
#21 RE: Good info Antworten

Hier Teil2:

Unter Beschuss
Auszug aus der Autobiografie “Umbruch” des Gubeners Günter Brock

Vorbemerkung:
Der Journalist Günter Brock schrieb mit 35 Jahren, d. h. im Jahr 1969, chronolo-gisch alles auf, woran er sich bis dahin erinnern konnte. Er nannte die Autobiographie “Umbruch“, womit er nicht nur diejenige Phase der Zeitungsherstellung meint, bei der die Materialien einer Ausgabe zu einer Seite gestaltet, also “um-bro-chen“, werden, sondern vor allem den Übergang der Nazizeit zur Nach-kriegszeit. Das Manuskript wurde vom Rostocker Hinstorff-Verlag mit dem Ziel einer eventuellen Drucklegung gelesen, zur Veröffentlichung aber nicht ange-nommen. Der folgende Auszug, trotz veränderter Zeitläufte nicht umgearbeitet, schildert Brocks Erlebnisse im Jahr 1945.


Von östlich der Neiße, die die Stadt seit je in zwei Teile zerschnitt, rückte eines Tages ein Brummen und Grollen heran, das sich nur von sehr nahen und lauten Geräuschen übertönen ließ. Ansonsten war es all-gegenwärtig. Uwe Bark nannte es bei sich “das Grummeln“. Und als das Grummeln immer näher kam, wurde im Gymnasium der Stadt an der Neiße bekanntgegeben:
“Es findet kein Unterricht mehr statt.“
Das muss einer der Lehrer über seine Lippen gebracht haben, einer von denen, die doch so lange vom Endsieg der deutschen Waffen fest überzeugt gewesen waren.
Am nächsten Tag blieb Uwe also zu Hause und starrte den ganzen Vormittag nachdenklich zum Fenster hinaus in den Kiefernwald.
Was war doch mit dem Grummeln für eine sonderbare Zeit angebrochen!
Alle Verwandten und Bekannten waren entweder “nicht mehr da“ oder “noch da“. Die Geschäfte waren “nicht mehr offen“ oder “noch offen“. Wasser und elektrisch Licht “gaben sie“ oder “haben sie wieder mal abgeschaltet“. Und je-den Tag verließ den Bahnhof “ein letzter Zug“.
Typisch war auch, dass es von den Männern der benachbarten Familien, die in der Rüstungsfabrik an der Kaltenborner Straße als “UK“, als “Unabkömmliche“, gearbeitet hatten, immer öfter hieß: “Den haben sie nun auch an die Front ge-schickt“. Seit das mit Uwes Vater auch der Fall war, hatte Mutter das Kommando in der Familie.
Sie gab nun die Anweisung:
“Wir hauen ab.“
Allerdings nicht, ohne Opa und Oma mitzunehmen, die auf dem östlichen Ufer der Neiße wohnten, in dem Gasthofshaus auf dem Osterberg. Aber auch dahin zogen die Barks nicht erst, denn Oma und Opa waren schon ein, zwei Straßen weiter umgesiedelt in eine moderne Beamtenstraße, die nach einem gewissen Eichholz benannt war. Hier wohnte die Familie Helter: Mutters Schwester Hanna, deren Mann Max und zwei Kinder, Cousin und Cousine von Uwe. Dort fand sich die ganze Großfamilie ein.
Das Abhauen verzögerte sich. Es fuhr auf einmal kein “letzter Zug“, und da war das ferne Grummeln ei-nes Morgens die nahen Berge an der Neiße heraufge-zogen. Es hüllte plötzlich die ganze Stadt ein und war auch durch vorbeifah-rende Panzerwagen nicht mehr zu übertönen.
Die Großfamilie fand sich im Keller des Beamtenhauses wieder.
Da stand ein antiquierter Schaukelstuhl, dessen sich Uwe sofort bemächtigte. All die folgenden Tage ver-ließ ihn der Junge kaum einmal, wippte pausenlos, bleich vor Angst, auf und nieder, mal schnell, mal lang-sam, mal ganz sacht, mal wieder stürmisch. Je nach dem Takt des Grummelns da draußen, das nun in Heulen, Pfeifen, Krachen und Bersten überging.
Nur selten stiegen die Barks und die Helters in diesen Tagen die Kellertreppe hinauf. Die Erwachsenen hatten ja alles herangeholt, was für das Kellerleben nötig war: Lebensmittel, Kleidungsstücke, Bettwäsche, Teppiche, Sitz- und Lie-gemöbel.
Das Grummeln kletterte die Berge am östlichen Neiße-Ufer mal diesseits, mal jenseits herauf oder herun-ter. Schwipp-schwapp, kipp-kapp machte der alte Schaukelstuhl.
Uwe war auf Mutter böse. Hatte Vater doch, ehe er “nicht mehr da“ war, ein-dringlich geraten:
“Seht zu, dass ihr hier rechtzeitig abhaut.“
Und so jammerte der Junge jetzt:
“Wenn das Papa wüsste!“
Immer wenn eine Granate nah einschlug und die Kellermauern erzittern ließ, klagte Uwe seine Mutter in dieser Weise an. Vaters vielleicht letztes Wort so in den Wind zu schlagen, wo doch der Bahnhof für sie als Sprucker ganz nah auf der westlichen Seite der Neiße lag!
Eines Abends hielt Uwe mit dem Schaukeln inne. In der Tonleiter des Grum-melns fehlte plötzlich das Kra-chen und Bersten.
Alle die Kellertreppe hinauf, Haustür aufgestoßen, Nase hinaus gesteckt – tat-sächlich, kein Geschoss kre-pierte in der Nähe, kein Soldat weit und breit. Stattdessen an einigen Gartenpforten Gruppen anderer Be-wohner der Eich-holzstraße, auch mit solchen Grummel-Keller-Gesichtern. Spaziergang auf dem Bürger-steig. Am Abendhimmel, über die Köpfe hinweg – Heulen und Pfeifen, Geschosse hinüber, herüber.
“Die Russen sind wohl hinter die Berge zurückgeschlagen, da können sie hier-her nicht einsehen“, belehrte ein Sachkundiger.
“Nein, sie haben die Höhen besetzt und schießen über die Neiße drüber weg“, widersprach ein anderer.
Der Streit blieb unentschieden. Die Kinder erfreuten sich an der Bewegungs-möglichkeit und an der frischen Luft. Erstmals “seit einer Ewigkeit“ wühlten sie sich am Abend mal wieder mit roten Wangen in die klammen Keller-betten.
Am nächsten Morgen machte der Schaukelstuhl wieder sein Schwipp-Schwapp. Schwipp-schwapp machte auch die Stimmung in der Weckglas- und Brotkan-ten-Gemeinschaft. Mal drehte sich alles um die nächste karge Mahlzeit, mal presste alle die Angst vor bebenden Wänden, herabrieselndem Mörtel und klir-renden Fensterscheiben in die kohlenstaubigen Kellerecken.
Eines Tages kam das Gespräch wieder auf das “Abhauen“. Und da zeigte es sich, dass nicht zufällig tage-lang nicht die Rede davon gewesen war. Der Kommandant des Eichholzkellers, der Onkel Max, verriet jetzt nämlich, was er vorhatte:
“Wir werden nicht abhauen. Wohin wir auch flüchten – die Russen kommen so-wieso hin. Und außerdem – wir haben die Sowjets nicht zu fürchten. Die sind Kommunisten. Denen habe ich schon immer ziemlich na-hegestanden. Sie sind für die einfachen Leute, und sind wir etwa Bonzen? Ich weiß schon, warum ich nie in diese NSDAP eingetreten bin...“
Und dann hörte Uwe Bark, Pimpf im Fähnlein Acht, aus welcher Sicht man Kommunisten und Russen auch sehen kann.
“Ich hatte mit den Nazis nie etwas im Sinn,“ drang es nämlich aus zornigem On-kelmund zum Schaukelstuhl hin, “und so kann ich vor die Russen hintreten und sagen, dass ich ein Freund von ihnen bin: Wir nix Nazi! Nur durch hartes Ler-nen habe ich mich bis zum Stadtinspektor emporgearbeitet, nicht durch Protek-tion oder den Geldbeutel des Vaters. Sohn einfacher Leute, habe ich meinen Platz nur durch Können und Wis-sen gegen die Parteigenossen behauptet. Können und Wissen – das zählt bei den Kommunisten...“
Uwe glaubte, er hörte nicht recht. So sollen die Bolschewiken denken? Anderer-seits – Gedanken, wie sie der Onkel da äußerte, kamen ihm sogar vertraut vor. Gewiss, nicht haargenau solche, aber doch sehr ähn-liche...
Und während der Onkel noch weiter agitierte und der Schaukelstuhl sein Schwipp-Schwapp fortsetzte, er-innerte sich Uwe all jener Erlebnisse, die er seit etwa vier Jahren gehabt hatte, seit er mit seiner Familie aus dem Gasthofhaus auf dem Osterberg in einen westlich der Neiße gelegenen Stadtteil gezogen war, der “Sprucke“ genannt wurde und wo lauter solche Leute wie sein Vater wohnten, Leute, die in der großen Rü-stungsfabrik an der Kaltenborner Straße bis zu 14 Stunden am Tage malocht hatten. Die Söhne von denen hatten Uwe gefallen. Sie waren so schön aufsässig. Nicht im großen. Aber für einen frechen Spruch ließen sie sich schon mal von Lehrer Janthur einen überziehen. Riesi-gen Spaß machte es ihnen, zum Pimpfendienst barfuß zu kommen. Wenn der Führer dann schrie: “Fähnlein Acht – stillgestann`!“ und es machte dann nicht laut “Klack“ von den Hacken, dann freuten sie sich, wie der sich ärgerte. Die Sprucker waren eben keine Bonzenkinder wie etwa die von Fähnlein Neun.
Und so sagte jetzt Uwe bei sich – wenn die Kommunisten auch gegen die Bon-zen sind, dann können wir tatsächlich im Keller bleiben. Schon malte er sich aus, wie die ersten Watte-Jacken-Kämpfer mit dem Mes-ser quer im Mund in den Keller stürzen werden, wie aber Onkel Max ihnen entgegengeht, beschwö-rend die Arme hebt und friedensengelhaft ruft:
“Wir – Kommunisti!“ Und schon würden die Bolschewiken die Messer hinter den Gürtel stecken, der Keller-gemeinschaft gütig zulächeln und alle hinters Ohr-läppchen küssen. Seinen Onkel stellte sich Uwe als neuen Bürgermeister vor, der eine lange rote Fahne im Vorgarten zu stehen hat. Sich selbst dachte er die beglückende Aufgabe zu, allen Jungens in der Sprucke zu verkünden, dass die Zeiten von Fähnlein Neun jetzt endgültig vorbei seien.
Aber die hochtrabenden Träume waren schon am nächsten Morgen ausge-träumt. Drei deutsche Soldaten, die sich Handgranaten kreuzweise hinters Kop-pel gesteckt hatten, stapften wie die Gendarmen in den Kel-ler. Dass waren junge, kräftige Kerle. Nicht solche schmutzverschmierten, japsenden Front-schweine wie die Landser, die an den vergangenen Tagen oft auf der Keller-treppe gelegen hatten, mit dem Seitengewehr hastig eine Konservenbüchse aufbrachen, ein paar Fleischbrocken herausklaubten, gierig darauf herum-kauten, so dass sich die dünnen bärtigen Wangen ausbeulten, ehe sie dann schon wieder im Garten hinter dem Haus verschwanden und anderen unsicht-baren Kameraden irgendetwas zuriefen, wie z. B.: “Hier ist der Iwan noch nicht!“
Nein, die drei, das waren Bilderbuchsoldaten, ein paar Kernige und wie Onkel Max hinterher sagte: “Wel-che von der Waffen-SS“.
“Alles räumen!“ riefen sie knapp. “Hier kommen Straßenkämpfe. Jedes Haus eine Festung!“
Onkel Max lief rot an. Uwes Mutter stand unschlüssig vor ihren Bündeln. Uwe malte sich aus, was wäre, wenn durch das Kellerfenster eine Handgranate her-einflöge und vor seinem Schaukelstuhl krepierte.
Ähnliches mochten sich wohl auch die Großen vorgestellt haben. Jedenfalls waren Onkels prokommunisti-sche Pläne vergessen.
“Es ist gerade etwas ruhiger geworden,“ lockte einer der drei Kernigen, «da kommen Sie noch weg, über die Brücke...»
Das sprach er in demselben Ton wie man zu einem späten Gast sagt: «Der Regen hat gerade nachgelassen, da kommen Sie noch trocken bis zu Bushaltestelle...»
Der Onkel musste irgendwo einen Leiterwagen aufgetrieben haben, und da warfen nun die Großen ihre Sieben-Sachen bunt durcheinander drauf. Uwe behielt für immer das Bild vor Augen, wie der kleine Treck die Eichholzstraße hinab und in die Teichbornstraße hinein trabte. Links und rechts zerspritzten «Regentropfen» wie einzelne dicke Eisklumpen – es hatte wirklich «nur etwas nachgelassen». In der unteren Serpentine der Teichbornstraße, die zum Neiße-Ufer führte, erblickte Uwe den ersten toten Menschen in seinem Leben. Einen blutigen Toten, einen starr nach den Wolken blickenden Toten, dem die Augen zuzudrücken sich kein Mensch verpflichtet fühlte.
Links brannten Häuser. Die Dachstühle anderer Gebäude erinnerten an Siebgitter, weil sie restlos abgedeckt waren. Dann voraus – schon dicht an der Brücke ein Großbrand. Aus der ganzen Vorderfront des Stadthauses schlugen Flammen und Rauchwolken. Onkel Max´Arbeitsstelle war verloren. Ob er überhaupt hinsah?
Schüsse fielen bis hierher nicht. Statt dessen vielfältige Zurufe, Aufforderungen und der Befehl:
«Dalli, dalli, über die Brücke ´rüber, sie wird gleich gesprengt!»
Besonders laut schrie das ein schmucker, junger Offizier, der Uwe dadurch auffiel, dass er einen blitzsauberen Stahlhelm trug. Bisher hatte der Junge noch nie einen Offizier im Stahlhelm gesehen. Die hatten doch immer Mützen mit weichen, schwungvollen Deckeln auf. Aber die weichen, schwungvollen Zeiten waren wohl vorbei.
Der «Schmucke» stand schon an der Einfahrtkurve zur Brücke. Er wies alle auf die rechte Fahrbahn. Die linke und die rechte Fahrbahn konnte man noch nie so gut unterscheiden wie jetzt – sie waren durch gelbe, grüne, rote und blaue Schnüre getrennt, die von Land her führten, alle zehn oder auch fünfzehn Meter in einen Schacht stürzten und wieder aus ihm empor tauchten, ehe sie in den nächsten Schacht einmündeten.
«Die Zündschnuren,» rief Mutter Bark, «es ist schon alles vorbereitet. Da haben wir Schwein gehabt.»
Also, bloß schnell!
Auf dem anderen Ufer der Neiße ließen sie den Leiterwagen erleichtert ausrollen.
Uwe sah sich um. Hier stand noch fast jeder Stein auf dem anderen. Soldaten spazierten gemächlich einher oder machten sich an Tornistern zu schaffen. Einwohner packten Sachen auf Handwagen, wohl um einen letzten Zug zu erreichen. Andere wieder lehnten an einem Baum und blickten gelassen auf die abgehetzten Flüchtlinge.
Der Krieg – hier war er noch nicht.
Wenig später fand sich Uwe mit Sack und Pack, mit Oma, Opa, Mutter und Brüderchen auf einem offenen LKW wieder, der auf einer waldigen Chaussee ins Hinterland rollte.
Sie fuhren den ganzen Tag.
Am Abend erreichten sie eine kleinere Stadt südwestlich von Kotbus, in die sie aber nicht hineinkamen. Der LKW hielt auf einer Ausfallstraße. Ein Soldat ließ die hintere Verschlagsklappe herunter. Ein Wäschebündel flog ihm wie eine aufgeschreckte weiße Pute ins Gesicht. Das dazu gehörende Gackern besorgten all die Frauen, die nun ihrerseits Bündel, Taschen, Koffer und natürlich die Kleinkinder ergriffen. Das alles wollten sie keinen Augenblick aus den Händen geben, auch beim Absprung von der Ladefläche nicht.
Die Flüchtlinge, wie die Mitglieder der LKW-Ladung nun hießen, wurden in ein großes modernes Gebäude geleitet – das Kino der Kleinstadt.
Niemandem war nach Kino, und es rechnete auch niemand damit, jetzt etwa die «Wochenschau» oder gar den Film «Flüchtlinge» zu sehen, an den sich Uwe gut erinnern konnte, weil er damals zutiefst erschauert war darüber, wie die armen Volksdeutschen von den polnischen Untermenschen gequält und vertrieben wurden. «Wahrlich,» hatten damals viele gesagt, «wird Zeit, dass der Führer da eingreift...»
Der Film, der jetzt lief, hieß «Nachtasyl» und die Barks waren, wenn auch unter «Ferner liefen...» die Darsteller.
Der hohe Saal war halb dunkel erleuchtet oder halb hell verdunkelt, wie es der Luftschutz forderte.
Die Bankreihen waren ausgeräumt. Wo sie gestanden hatten, lagen, hockten oder schlenderten Menschen umher, die den Eindruck machten, als hätten sie sich lange nicht mehr gewaschen, gekämmt oder umgekleidet. Nur manch einer besaß einen Strohsack, ganz wenige eine alte Matratze, die meisten kauerten auf den mitgebrachten Bündeln.
Die Barks fanden nur mit Mühe noch ein Fleckchen, wo sie zumindest niemanden unter oder gar über sich hatten. Noch nie hatte Uwe auf dem Fußboden geschlafen. Schon dass man ihm das ohne ein entschuldigendes Wort zumutete, erschien ihm als die größte Erniedrigung in seinem ganzen bisherigen Leben. So weit war es also gekommen!
An einem der nächsten Tage siedelten die Gubener in Privatwohnungen um und hießen von nun an «Einquartierte». Die Barks kamen in ein sehr ordentliches, blaßgrünes, zweistöckiges Haus gleich neben dem Kino. Mit zwei Töchtern und einem Buben bewohnte eine Offiziersfrau die ganze untere Etage.
Das allerkleinste Zimmer der Familie erhielten die fünf Barks. Sie schliefen auch hier wie im Kino auf dem Fußboden. Mit Ausnahme der Oma. Die bekam die einzige Bettstelle.
Das einzige Gute an dem Zimmer war, dass es ein breites Berliner Fenster zur Straße hatte. Hier sollte Uwe in den folgenden paar Wochen oft stundenlang sitzen, ein Buch aus der Bibliothek des «an der Front stehenden» Hausherrn lesen und die müden Landser der ehemals so stolzen Wehrmacht in Richtung Berlin vorüberziehen sehen. Und wenn dann mal einer der Krieger zu den Kindern herüberblickte, mochte Uwe denken:
«Ja, seht uns nur an, damit ihr wißt, für wen ihr kämpfen müsst.» Andermal aber dachte Uwe auch , nicht zuletzt in Erinnerung an gewisse Onkelreden im Eichholzkeller: »Wo wollt ihr denn bloß noch hin? Die Russen holen euch ja sowieso ein...»
Unterricht fand in dem Städtchen noch statt. Allerdings auch nicht mehr in einer ordnungsgemäßen Schule. Dort lagen Verwundete und Flüchtlinge. Uwe ging mit der sympathischen Offizierstochter Karin in eine Klasse. Aber er war in Gedanken weit weg, döste vor sich hin. Er erinnerte sich später an keinen einzigen Unterrichtsfetzen aus jener Zeit. Aber man ging eben doch «noch» zur Schule.
Wohin jedoch Uwe keine zehn Pferde mehr kriegten, das war das «Jungvolk». Da hatte Onkel Max einen vollen Sieg errungen. Und daran konnte auch der Gubener nichts ändern, den Uwe eines Tages auf der Straße traf – Heinz Barmeister, Hordenführer aus Fähnlein Neun. Der kniff die Augen zusammen und fragte: «Warum kommst du eigentlich nicht zum Dienst?»
Uwe spürte sofort den drohenden Ton heraus. Dieser Hordenführe war eine Macht, und gegenüber der Macht kann man nicht immer ehrlich sein. So antwortete Bark:
«Ich weiß nicht, ob ich mich in ein neues Fähnlein eingewöhnen könnte. Und wozu auch? Wir werden doch bald zurück in Guben sein. Dann komme ich wieder zum Dienst.»
Selten so clever gewesen! Musste Barmeister doch nun befürchten, dass Bark ihm beim geringsten Widerspruch vorhalten könnte, er, Barmeister, glaube nicht daran, dass der Aufenthalt in der kleinen Stadt nur vorübergehend sei, ein kleiner Ausflug sozusagen. Ist da etwa jemand nicht vom Endsieg der deutschen Waffen überzeugt?
So zog Uwe den Kopf aus der Schlinge, aber der stramme Pimpf Barmeister merkte es sich.
Das sollte Bark wenige Tage später zu spüren bekommen.
Er traf Barmeister nämlich zufällig vor dem Kino, wo der mit noch einigen Pimpfen stand, alle im Braunhemd. Sie waren merkwürdig erregt, so dass sie Uwes Neugier weckten. Was hatten die denn? Gab es eine neue Sondermeldung des Oberkommandos der Wehrmacht? Vor Guben etwa der Feind zurückgeschlagen?
Nein, es war etwas ganz anderes. Barmeister rief Uwen entgegen:
«Du warst wohl nicht auf der Großkundgebung in der Stadt? Da hast du was verpasst!»
Und nach einer Atempause:
«Wir gehen zu den Werwölfen! Ich sage dir, das wird was! Die Iwans sollen uns erleben, wenn sie hier einrücken! Kochendes Wasser und Teer gießen wir ihnen über ihre Glatzköppe. Aus jeder Dachluke – Pflastersteine und aus jedem Kellerloch – Panzerfäuste...»
Bark war dicht daran, laut loszulachen und dem vernarrten Kerl den Vogel zu zeigen. Er verkniff es sich. Aber das brennende Stadthaus an der Neiße, die «Regentropfen» auf dem Asphalt der Eichholzstraße und den blutigen Toten auf der Teichbornstraße in Erinnerung, reagierte Bark immer noch unvorsichtig genug, indem er sagte:
»Mein lieber Mann, wenn hier die ersten Granaten in die Dächer krachen, dann denkst du an kein heißes Wasser und an keine Pflastersteine. Das hab ich erlebt. Da ist man froh, wenn man sich nicht gleich in die Hosen macht...»
Er wollte noch mehr sagen, aber da hatte Barmeister schon die Augen zusammengekniffen und Uwen da gepackt, wo die herumstehenden Jungs das schwarze Tuch im Lederknoten trugen. Er schüttelte ihn ein paar mal und schrie dabei wütend:
»Aha, du bist also auch so ein innerer Schweinehund, von denen der Führer sprach. Die kennen wir!»
Uwen wurde himmelangst. Auch die anderen Jungs rückten ihm bedrohlich nahe. Aber sei es, dass Barmeister sich selber seiner Sache nicht ganz sicher oder schon damit zufrieden war, dass Uwe sich so widerstandslos beuteln ließ, jedenfalls – Bark konnte sich losmachen und kam mit einem abgerissenen Hemdenknopf davon.
Kurz danach kam ein Tag, an dem setzte das Grummeln ein.
«Nun kommen die Russen auch hierher,»folgerte die Oma.
Am Stadtrand hatten sie eine Panzersperre gebaut. Uwe amüsierte sich über den Apparat. Mit Holzbalken die russischen Panzer aufhalten! Die sind sogar die Gubener Berge hochgerattert!
Auf dem Feld zwischen dem Offiziershaus und einem in die Stadt hineingewachsenen Bauerngehöft hatten Soldaten begonnen, Gräben und Schützenlöcher auszuheben. Die Männer trugen deutsche Uniformen, hatten aber Mongolengesichter, und von ihnen hörte Bark das erste Mal russische Wörter. Die Mongolengesichter nannten sich Wlassow-Leute. Als sie zu schippen begannen, fragte Uwe sie:
«Was machen Sie denn hier?»
Der eine lachte sarkastisch und radebrechte: »Wir hier unser Grab machen.»
Schon bald ging das Grummeln in Heulen, Krachen und Bersten über, und die Barks saßen wieder im Keller. Diesmal nicht mit Schaukelstuhl und Teppichen. Die Hausbewohner hockten auf Koffern und Kisten an der Wand des Kellergangs entlang, Flüchtlingskind, Offiziersfrau, Oma, Opa, Mädchen und Buben, bereit zum Abhauen, sollten Straßenkämpfe kommen.
Aber die kamen nicht. Stattdessen wurde es Abend und stockdunkel. Nur durch die Milchglasscheibe der Haustür drangen Mondlicht und Feuerschein. Aber auch damit war auf einmal Schluss. Ohrenbetäubendes Rattern, Dröhnen und Knirschen – ein leibhaftiger Panzer fuhr direkt vor die Haustür. Die flog krachend auf, und im nächsten Moment waren – die Russen gekommen.
Drei Kerle – Uwen erschienen sie baumlang – sprangen vom Panzerturm direkt durch die aufgerissene Haustür ohne Zwischenlandung bis in den Kellergang herunter. Von da aus tasteten sie die Deutschen mit einer auf und ab heulenden Taschenlampe und mit der Mpi der Reihe nach ab und hetzten dann geduckt wie Pantherkatzen bis in die äußersten Kellerecken. Dann kamen sie schwatzend und gelockert zurück zum Kellereingang.
Uwes Brüderchen und der Kleine von der Offiziersfrau hatten jämmerlich zu weinen angefangen, und da geschah etwas, was später in viel zu viel Filmen und Büchern heraufbeschworen wurde, aber es geschah wirklich: die Soldaten zeigten die blanken Zähne, lachten und nahmen die beiden Jungs auf den Arm, schaukelten sie und wollten sie beruhigen, was allerdings völlig misslang. Die Bengels schrien wie am Spieß, und die Baumlangen reichten sie den Müttern zurück. Sie sprangen die Kellertreppe hinauf, und der Panzer dröhnte davon.
«Na, die waren ja ganz manierlich,» sagte jemand erleichtert.
Lag der Ton auf «manierlich» oder auf «die»? Er lag auf «die», und das war leider berechtigt...
Die Nähe der Straße, der Rollbahn nach Berlin, war sowohl ein Vorteil wie auch ein Nachteil. Ein Vorteil, weil man hier öfter mal eines der dunklen, schaumig gebackenen russischen Brote ergattern konnte. Ein Nachteil, weil da doch allerhand Volk im erdbraunen Tross fuhr, das sich im Schutz der Dunkelheit sowohl bereichern, als auch verlustieren wollte.
Die Bewohner des Offiziershauses erlebten die unterschiedlichsten Situationen:
Vom rauhen Kommando «Frau, komm!» bis zu weit ausholenden Motivationsbekundungen, die vom Treppenabsatz her den Kellergang entlang- schollen, in mehr oder weniger gebrochenem Deutsch:
«Wir lange von Chause weg, damit schlagen Gitler, sowjetzki Frauen tot, tot von Faschisten, von deutsche Faschisten...»
Der Sinn war derselbe. Angsterfülltes Tuscheln in der Kellerrunde, zuweilen ein Seufzer: «Schon wieder ich!» Die Frauen wechselten einander ab...
An einem hellen Morgen, wohl so vier Tage nachdem das Grummeln in Richtung Berlin weitergezogen war, kam ein kleiner, trotz seines fortgeschrit- tenen Alters noch ganz schwarzhaariger Russki in den Keller. Auf dem Arm hielt er ein scheckiges Kaninchen. Mit der freien Hand winkte er:
«Kinder, kommen!»
Er streichelte das Muckchen und setzte es der Karin auf den Arm. Dann sah er alle verwundert an:
«Warum hier sitzen? Kalt, kalt! Woina kaputt – Gitler kaputt. Kommen, kommen!»
Und er zeigte nach oben zur Straße. Die Kinder gingen als erste hinauf, setzten das Kaninchen ab, rannten ihm hinterher, immer hinterher.
Es war so schön zu laufen, einfach zu laufen, ohne dass es noch grummelte!

Zweiter Teil: “ERSTE FRIEDENSTAGE IN GUBEN”



Die Sprucker Wohnung war aufgebrochen, Kissen, Geschirr und Kleidungsstücke lagen nicht ganz an ihrem angestammten Platz. Aber außer dem alten Grammophon und den dazu gehörenden Platten fehlte nichts Wichtiges.
Von weitem schon hatten die Barks Jubelrufe ausgestoßen:
"Das Haus steht noch. Seht nur - die Sprucke ist fast unversehrt!"
Man hatte Schlimmeres erwartet. Wer also wird da einem alten Grammophon nachtrauern?
Überall liefen schon Leute rum, die alle "wieder da waren". Nur wenige waren "noch nicht wieder da". In Angst um ihre Habseligkeiten waren die meisten sogar "schon lange wieder da".
Aber diese Einteilung der Menschen war nicht die beherrschende. 'Vielmehr gliederten sich die damaligen Bewohner der Stadt in solche, die "alles verloren" hatten und solche, zu denen fortan auch die Barks zählten, die "nicht alles verloren" hatten. Die waren, sollte man meinen, fein raus.
Aber moralisch waren die anderen im Vorteil. Beim Schlangestehen, beim Beantragen von Bezugsscheinen und bei hundert anderen Gelegenheiten konnten sie vorbringen, dass sie "alles verloren" hatten. Und obwohl der Hunger weder vor eigenen noch vor fremden Toren Halt machte - es war vorteilhaft, wenn man sagen konnte: "Wir haben alles verloren".
Ja, das liebe Täglich Brot und die gewohnte Salzkartoffel!
Beides fehlte sowohl der Familie Bark wie auch der Flüchtlingsfamilie Kalling, die im feuchten und fensterlosen Luftschutz-Keller des Hauses Unterschlupf suchen musste.
Wenn Uwe Bark, Jahre später, ein regelrechter Feind von Kartoffeln und somit eigentlich kein richtiger Deutscher war, sodass er von Freunden oft als "Makkaronifresser" gehänselt wurde, so war das bei ihm eine Reaktion der Rache. Ja, er rächte sich später an den rauhschaligen Erdäpfeln, weil sie ihn in den ersten Friedensjahren nicht geliebt haben und er ihnen dermaßen nachlaufen musste, bis ihm die Ballen brannten und er sich in ix Dörfern ihretwegen erniedrigen musste.
Eine Chaussee, die zu Orten führte, wo man Kartoffeln ergattern konnte, war oft so lang, dass Uwe Bark Muße hatte zu verfolgen, wie sich an seinen gesunden Hacken zuerst rote Stellen, dann Wasserblasen, dann Blutblasen und schließlich Eiterblasen bildeten. Und doch zählte das nicht etwa für den Erfolg. Dafür zählte vor allem erst einmal, was man als Tauschobjekt mit auf die "Hamsterfahrt" nehmen konnte. Und das rangierte zwischen dem sprichwörtlichen "Teppich im Kuhstall" bis zu der mutigen Bettlerfrage:
"Ham se welche Knulln?"
Mutig war das schon allein deswegen, dass man ja, um die Frage zu stellen, an einem Schild vorbei musste, auf dem zu lesen war: "Vorsicht, bissiger Hund".
Nun ja, für einen "Teppich im Kuhstall" konnte man glatt einen Zentner Kartoffeln bekommen, für die genannte Frage aber sprangen höchstens drei oder vier einzelne Kartoffeln oder die wenig nahrhafte Antwort heraus:
"Nee, wir ham alleeene keeene."
Mutter Bark trieb eine ziemlich erfolgreiche Bedarfsforschung unter den Bauern. Sie hatte bald herausgefunden, dass die Produzenten von Kartoffeln mit Teppichen, Bettwäsche, Oberhemden oder auch Reichsmark schon bald nicht mehr zu bewegen waren, ihre Knullenkisten zu öffnen. Außerdem kamen mit solchen Angeboten diejenigen aufs Land, die noch alte Bestände hatten. Die Barks dagegen hatten zwar "nicht alles, aber doch eine ganze Menge verloren", schon im Keller der Eichholzstraße, dann in der Kalauer Offiziersvilla und schließlich auf dem Heimweg nach Guben, wo sie des öfteren die Trecks der ebenfalls heimkehrenden sogenannten Fremdarbeiter begegneten.
Nein, sagte sich Mutter Bark, aktuell muss man sein. Die Bauern hatten ihre Jahreszeiten. Da ist mal die Schlachtezeit, dann die "Saure-Gurken-Zeit", und dann die langen Land-Wintertage. Darauf stellte Mutter Bark sich ein.
In der Schlachtezeit brauchten die Bauern Salz. Also musste man bei Zeiten Salz anbieten. In der Gurkenzeit brauchten die Bauern Essig. An den langen Winterabenden brauchten die Bauern Kerzen. Also fuhr Mutter Bark mitten im Sommer schon bis nach Halle an der Saale und besorgte Wachs. Das waren viereckige, gelb schimmernde Platten, die sich in puren Speck verwandelten, nachdem die ganze Familie Kerzen gießen gelernt hatte.
Den größten “Umsatz” erzielte Mutter Bark mit Essig-Essenz. Kein krummes Geschäft, wie mancher denken mag. Der Rat der Stadt war selber schuld, dass er die finsteren Hallen einer alten Weinkellerei in der Feldstraße unbewacht ließ. Mutter Bark war ganz zufällig dort hinein geraten. Sie schnüffelte an den großen Fässern, die dort aufgebockt standen.
“Hmm, säuerlich!” lautete ihr Urteil.
Schon hatte sie ein Spundloch geöffnet. Was da heraus kam, schmeckte, schnell mal von der bloßen Hand geleckt, verdammt wie Essig-Essenz. Nachbar Kalling war schnell herbei gerufen
“Ja”, bestätigte er sachkundig, “das ist Weinessig, allerdings schon etwas übersäuert, trotzdem aber nicht unbrauchbar, wenn Sie damit Gurken einmachen wollen. Aber wo wollen Sie heutzutage Gurken herholen, es gibt ja nicht mal Kartoffeln...?”
Sie aber strahlte vor Freude.
“Essig – Gurken – Kartoffeln”, rief sie zu Hause, “habt ihr kapiert?
“Kein Wort”, sagte die Oma.
Auch die übrigen Barks sahen keinen Zusammenhang zwischen den drei Losungsworten, man gerade das letzte löste Empfindungen höherer Art aus. Aber die Hausherrin bewies die Logik ihrer Losung schon, als sie das erste Mal aus einem Spreewalddorf zurückkam: ein paar Brauseflaschen voll, wie sie es sagte, “hochprozentiger Essig-Essenz” hatten sich in mehr als hundert Pfund echter Kartoffeln, zwei Pfund Speck und dreißig Eier verwandelt. Der Winter konnte kommen.
Auf der Landstraße verbrachte Uwe damals oft mehr Zeit als auf der Schulbank.
Landstraßen können sehr verschieden sein. So gibt es unter ihnen solche, die schnurgerade verlaufen, sodass das Ende am Horizont einen verschwommenen Punkt bildet. Auf ihnen trottete Uwe stur dahin, den Kopf gesenkt, schob den kleinen Leiterwagen und starrte auf das Trapp-Trapp der müden Beine. Er freute sich schon, wenn irgendwann einmal ein Dörfchen in Sicht kam. Lieber waren ihm Landstraßen, die mal eine Kurve oder eine Steigung hatten. Da konnte er wenigstens mal irgendeine Erwartung auf etwas Unerwartetes hegen.
Ein Gutes hatten alle Landstraße – auf ihnen rollte der Wagen leicht, man hatte die Gewissheit, nach einer bestimmten Zeit da oder dort tatsächlich anzukommen.
Das lernte Uwe erst richtig schätzen und zu entbehren, nachdem die Flüsterpropaganda unter den “Hamsterern” folgendes Gerücht verbreitet hatte:
“Die machen jetzt Kontrollen auch in Zügen und auf der Landstraße. Die beschlagnahmen alle Lebensmittel...”
Mit “die” waren natürlich die “Russen” und jene Männer gemeint, die eine rote Armbinde trugen, die Polizei der neuen Ordnung.
Mutter Bark wollte es nicht recht glauben.
“Was wir armen Schlucker erbetteln, werden uns die doch nicht wegnehmen”, sagte sie. “Ach, Uwchen, wir tun doch nichts Unrechtes. Wir sorgen doch nur für die Unterhaltung des nackten Lebens. Der Liebe Gott hat bisher seine schützende Hand über uns gehalten. Er wird es auch weiterhin tun...”
Uwe dachte nicht anders über den Fall. Aber – trau schau wem!
Jedenfalls fanden folgende “Hamsterfahrten” nur noch unter erschwerten Bedingungen statt.
“Wir müssen die Chausseen vermeiden”, riet Mutter Bark. “Wir dürfen auch nicht mehr den Handwagen nehmen. Da weiß doch jeder gleich, dass wir nach Kartoffeln unterwegs sind.”
Also wurde Brüderchens Sport-Kinderwagen aufgezäumt. Ein Sack mit Tausch-Ware zu-unterst, ein Sitzkissen darüber und dann mit Juchhe-wir-sind-lustig-Gesichtern auf Feldwegen fürbass gewandert.
Nun wird aber das Rad eines Kinderwagens auf einer Achse nur durch einen winzigen Stahlstift gehalten, der an einer Stange sitzt, die wiederum eine sogenannte Rad-Nabe umklammert. Wird nun ein Kinderwagen statt mit einem kleinen Brüderchen mit einem grob gewebten Sack beladen, der noch dazu mit knolligen Erdäpfeln gefüllt ist, und schiebt man dann das Wägelchen statt über die blank gefegten Platten eines Bürgersteigs auf Feldwegen lang, die von schwerfälligen Ackergäulen zertreten sind, dann kann zweierlei passieren: erstens kann die Spange müde werden, den Stift ständig auf die Achse zu drücken. Zweitens kann der winzige Stift ohne jede vorherige Ankündigung tun, was man bei keinem gern sieht, der an verantwortlicher Stelle sitzt - er kann einen Knacks kriegen. In beiden Fällen wird der gleiche Effekt erzielt: das Rad eiert von der Achse, die Achse bohrt ihre Nase in den Boden, der Kartoffelsack stürzt kopfüber in einen möglicherweise mit Wasser gefüllten Ackergraben. Und das alle hundert oder sogar alle zwanzig Schritt, solange man keinen neuen Stift oder eine neue Spange zur Verfügung hat.
An einem heißen Sommertag zogen Mutter und Uwe Bark auf so einem Feldweg von Wellnitz in Richtung Guben heimwärts. War es da das zwanzigste oder gar dreißigste Mal, dass der oben beschriebene Vorgang eintrat - Uwe hat es nicht gezählt. Er sah nur noch, dass Mutter, die immer so starke, immer so tapfere, plötzlich Brüderchens Sportwagen von sich stieß, in Tränen ausbrach und verzweifelt rief:
"Lieber Gott, womit habe ich das verdient?"
Uwe unternahm keinen Versuch, die Mutter zu trösten.
"Das braucht die jetzt nicht", dachte er nur, er ging still an den Wegrand, ließ sich ins Gras fallen, sah Mutter nur an.
Und richtig - auch die Kartoffeln aus Wellnitz gelangten auf den Essenstisch der Familie Bark.


Teil drei Erste Schritte zur Politik

Damals hatte Bark als 11-jähriger Bube vor den Trümmern seiner Heimatstadt, vor der Leiche seines Vaters, der todkrank aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heim gehumpelt kam, gestanden. Und an der Hand seiner Mutter, einer zwar tatkräftigen, aber körperlich nicht sehr robusten Kleinhändlers Tochter. Die nun im größten Elend für ihn, seinen kleineren Bruder und ihre gebrechlichen Eltern sorgen musste. Sorgen, indem sie schwere Maschinen demontierte, die die Sowjets aus den Tuch- und Hutfabriken der Stadt an der Neiße abschleppten.
Ja, da lernt auch schon ein Pimpf vom letzten Jahrgang der HJ das politische Nachdenken. Am meisten quälte ihn und seine jungen Freunde die Frage:
Wie konnte so eine Katastrophe über sie alle hereinbrechen? Wer und was waren schuld daran?
Antworten gab es nicht zu wenig.
Bark denkt bloß an seinen Nachbarn, der als junger Offizier mit einer Beinprothese von der Front nach Hause kam:
“Hitler ist schuld, er hätte nicht die Sowjetunion überfallen sollen, sondern erst mal England vereinnahmen. Dann hätten wir den Rücken frei gehabt“
Also, das nächste Mal – erst England niedermachen?
Der alte Geschichtslehrer: “Deutschland war ein Volk ohne Raum, und in Versailles hat man uns auch noch die Hände abgehackt.“
Und jetzt? Da haben wir ja fast noch den Kopf abgehackt bekommen!
Der Konfirmationspastor: “Wen Gott liebt, den züchtigt er.“
Bark erinnert sich noch, wie er und seine Freunde daraufhin folgerten:
“Aha, zuerst hat Gott die Polen, die Franzosen und die Russen geliebt und sie durch die Deutschen gezüchtigt, dann verliebte er sich in die Deutschen, Japaner und Italiener und züchtigte sie durch die Russen und Amerikaner. Wird er sich in die Amerikaner auch mal verlieben?“
Nein, das machte natürlich keinen Sinn.
Später gab es einen neuen Impuls für die Diskussion. Der RIAS erklärte zu einem Jahrestag des Zusammenbruchs des Hitlerregimes:
“Die Deutschen waren vom Weg der Demokratie abgewichen. Das war ein folgenschwerer Fehler…“
Bark und seine Freunde Gania und Ude guckten sich groß an. Was hieß denn das nun wieder? “Vom Weg der Demokratie abgewichen“? Hitler war doch demokratisch gewählt worden! Demokratie ist doch so was Schönes, warum sollten denn da die Deutschen “abgewichen“ sein? Haben die da alle gerufen: “Wir wollen einen Diktator haben, der jeden Unbequemen in ein KZ steckt“? Sie kamen zu dem Entschluss, sich mal die Demokratie näher anzusehen, von der die Deutschen abgewichen sein sollen.
Und da wurden sie fündig: Die Demokratie, die der RIAS gemeint hatte, die Weimarer Demokratie, muss ja ein wirres Ding gewesen sein! Da ging es ja drunter und drüber:
Saalschlachten, bewaffnete Schutztruppen sowohl der Nazi- als auch der roten Partei, immer mehr Arbeitslose und eine Regierung nach der anderen, die alle nicht die Probleme in den Griff bekamen:
Zuerst kleine Koalitionen, dann eine “Große“, die schon nach anderthalb Jahren platzte, weil sich die Partner nicht über die Arbeitslosenhilfe einigen konnten – um ein halbes Prozent mehr oder weniger Geld ging es da, um 4 statt nur 3,5 Prozent! Dann regierten drei adlige Spitzenpolitiker nacheinander mit Notverordnungen: ein Brüning, ein Papen, ein Schleicher, und auch die brachten nichts zustande außer Zankerei und einer “vorfristigen“ Wahl nach der anderen!
“Alles klar“, meinte schließlich Gania, “nicht die Deutschen sind von der Demokratie abgewichen. Die Demokratie hat einfach nichts getaugt, SIE war es, die auf der ganzen Strecke versagt hat. Und der `greise Feldmarschall Hindenburg hat sich nicht mehr anders zu helfen gewusst, als an die Spitze des Volkes der Dichter und Denker einen eroberungssüchtigen, blutgierigen Antisemiten zu setzen! Toll, dieser RIAS!“

Schließlich erschienen an der Penne neue Lehrer, eine - Hilde Hahnkopf und ein Jochen Grasbach. Die waren nur etwa fünf Jahre älter als die von der “Zehnten“, hatten einen Schnellkurs hinter sich und traten nun als Lehrer in die Schranken. “Neulehrer“ wurden sie genannt. Bei den alten Paukern hörte sich das Wort an wie “Noch-Nicht-Ganz-Lehrer“, und die von der Zehnten empfanden entweder genauso oder waren einfach bloß gespannt, was die Neuen ihnen denn wohl beibringen werden. Den Jochen fand Bark echt sympa-thisch. Ein selbstbewusster, drahtiger Typ, der damit begann, dass er verkündete: “Ihr könnt ruhig Du zu mir sagen...“ Dann setzte er sich auf den Tisch der hinteren Bank und erzählte, dass er im Krieg Panzerfahrer war: “Zweimal dem Schicksal einer Bratwurst entgangen, Kriegsgefangenschaft bei den Russen, Antifa-Schule in Kras-nogorsk...“ Dem stellte Bark denn ja auch gleich in der zweiten Stunde die be-sagte Gretchenfrage, die nicht mal der "RIAS" befriedigend beantworten konnte.

Der junge Lehrer wurde auffallend ernst: “Mit ein paar Worten ist das nicht beant-wortet, schon weil es für so ein kolossales Thema nicht nur eine Erklärung gibt.“ Natürlich sei Deutschland nach dem verlorenen Weltkrieg in einer ungünstigen Lage gewesen, natürlich seien die militaristischen Traditionen in der Weimarer Republik nicht genügend bekämpft worden, natürlich musste die herrschende Schicht der bür-gerlichen Welt im Kommunismus eine Bedrohung erblicken und anderes mehr, aber die schwerwiegendsten Ursachen seien im Charakter der bürgerlichen Wirtschafts-form zu suchen.

“Um das zu verstehen,“ meinte dieser Jochen fast genüsslich, “müsst ihr euch in die Lage eines Fabrikbesitzers versetzen. Nehmt mal an, ihr habt gerade einen Posten von sagen wir 1 000 Motorrädern hergestellt, die nun auf den Markt gehen und verkauft werden, das Stück für zweitausend Mark. Der Erlös – zwei Millionen. Eine Million für Löhne, 900 000 für Rohstoffe, neue Maschinen, Abschreibungen, Gebühren aller Art, bleiben 100 000, davon bestreitet ihr natürlich euren eigenen Lebensbedarf...“

“Na, na,“ kam der Einwurf,“ so viel werden die Reichen ja nicht gleich verbrauchen, schließlich können sie ja auch bloß ein Schnitzel zu Mittag essen, und mehr als drei Autos, drei Häuser und drei Boote machen ja auch keinen Sinn...“

“Richtig, ein bestimmter Betrag, und seien es nur 10 000 Mark bleiben übrig, gehen auf die hohe Kante oder ins Ausland, auf jeden Fall wird dafür nichts auf dem Bin-nenmarkt gekauft. Und das ist das Übel. Denn für diese Summe bleibt irgendwo Ware im Lager liegen. Der betroffene Fabrikant jongliert eine Weile mit den Preisen, muss aber schließlich die Produktion drosseln, und das heißt, er entlässt Arbeiter. Da das in Tausenden von Betrieben ähnlich abläuft, ergeben sich bald hunderttausende und nach einer Reihe von Jahren Millionen Arbeitslose.“Nun, das war auch den Pen-nälern schon bekannt – 6 Millionen in Deutschland 1933! Und der Neulehrer konnte fort-fahren: “Die muss der Staat ernähren, das greift die Budgets an, sie zahlen keine Steuern, das greift die Budgets noch mehr an, die Kaufkraft der Arbeitslosen ist ge-ring, also bleiben noch mehr Waren in den Lagern liegen, also müssen noch mehr Betriebe die Produktion drosseln, und die Zahl der Arbeitslosen wächst noch mehr, der Staat und die Kommunen müssen Schulden machen, das kostet Zinsen, eines Ta-ges sperren die Banken die Kredite, und der Staat steckt in der Krise. So war es je-denfalls 1930, und der Staat, d. h. die führenden Parteien, sahen den einzigen Ausweg in Diktatur, Kriegsvorbereitung und im Marsch bis zum Ural.“

“Und was hätte man statt dessen tun sollen?“

“Nun ja, die Gewerkschaften forderten die Einführung der 40-Stunden-Woche, dann hätten sofort rund drei Millionen Menschen Arbeit erhalten. Aber davon wollten die Unternehmer natürlich nichts wissen, hätten sie doch für acht Stunden den Lohnaus-gleich zahlen müssen, ohne den ja der gewünschte Effekt, also höhere Kaufkraft, mehr Steuern, weniger Sozialausgaben, nicht eintritt. Die Unternehmer fürchteten, dass dann ihre Gewinne geschmälert werden.“

“Na, das würden sie doch wohl auch...“

“Ja und nein. Erst einmal hätten die Betriebe tatsächlich Mehrausgaben. Aber wie es sich zehn Jahre zuvor gezeigt hatte, als die 48-Stunden-Woche eingeführt wurde, pro-fitierten die Unternehmer mehr als die Arbeiter, weil deren Motivation stieg, sie ar-beiteten eifriger als in der Krise, die steigende Kaufkraft der Bevölkerung führte zu hö-heren Umsätzen, die steigenden Steuereinnahmen ermöglichten staatliche Investitio-nen, z. B. für die Infrastruktur, was wiederum der Wirtschaft Aufträge einbrachte usw. usf.“


Na ja, das klang zwar alles sehr theoretisch, wenigstens aber logisch. Die Jungen hatten was zum Diskutieren. Und sie redeten sich die Köpfe heiß, stundenlang bis in die Nacht. Eine Gruppe mit Bark mitten drin kam zu dem Entschluss:
“Lasst uns das mal erst akzeptieren, so ein Land ohne diese bürgerliche Wirtschaft...”
Praxis wird ja zeigen, was daran gut ist…“
Und sie traten in die FDJ ein.
Dabei waren sie sich dessen bewusst, was Gania einwarf: “Was die Jochen-Leute da wollen, ohne Widerstand und Härte wird es nicht gehen.“ Das lag ja nahe- wie viele Gubener sind ja da und dort “abgeholt“ worden. Und da schwörten sich die Jungs:
“Wir machen mit, aber wir sollten uns aus allem heraus halten, was typisch für die Nazis war,”

(Der folgende Teil konnte in der Lesung nicht mehr vorgetragen werden, weil der Moderator nur 50 Minuten zugelassen hatte):

Die Friedensschule hatte zwei Flügel, die durch den etwas höher gebauten Treppenaufgang getrennt waren.
Ging man die Treppen ganz hinauf, auch das Stück über die Höhe der Seitenflügel des Gebäudes hinaus, dann kam man in einen nicht gerade großen Raum. In diesem Zimmer, traf sich die FDJ-Gruppe. Als Bark, Gania und Ude eintraten, herrschte ein buntes Durcheinander.

"He, das ist mein Stuhl!"
"Wo soll ich den sitzen?"
"Nun kommt langsam zur Ruhe!"
"Wann fangen wir denn endlich an?"
"Setzt euch doch erst mal alle hin!"
Auch die Drei fanden noch einen Stuhl, setzten sich.
Bark entdeckte unter den zwölf oder fünfzehn Mädchen und Jungen tatsächlich nur Schüle5 de5r Elften und Zwölften.
In ihnen gingen Jochen Grasbach und Hilde Hahnkopf nahtlos unter. Zwischen der strammen Hilde Hahnkopf und dem zierlichen Jochen Grasbach hatten Bark und die anderen aus der Neunten anfangs bedenkenlos einen Gleichheitsstrich gesetzt. Beides Neulehrer, mit beiden duzten sich die Schüler, beide hatten keine hochnäsigen Allüren im Unterricht, beides moderne Leute. Später war allerdings aufgefallen, daß Grasbach beweglicher, gelockerter, unverletzbarer als die Hahnkopf, diese aber sehr schnell 0rinzipiell, leichter gekränkt, ehrliebiger als Grasbach war. Auf jeden Fall waren sie aber beide nicht viel älter als ihre Schüler, hatten mit ihnen viele gemeinsame Neigungen, und das schien Bark besonders hier im Jugendzimmer das Entscheidende zu sein.

Mittlerweile saß alles ringsum. Kein Tisch in der Mitte. Man sah die Waden der Mädchen und die Knie der Jungen. Einer stand auf. Es war Ingo Noack. Vom Sehen kannte ihn Bark. Ein junger Mann, konnte man schon sagen, mit kräftigen Schultern und hellblonden haaren. Der war also hier Chef, Vorsitzender oder Sekretär, wie sie es nannten.

Eine trauliche, beschauliche Runde war das nicht. Alles war quirlig, aufgeregt. Bark verstand von Ingos Worten nur, daß einige aus der Gruppe eine Fahrt nach Berlin gemacht hatten, warum, bekam er nicht mit, und jetzt sollten die davon berichten.

Von dem, was nun folgte, fühlte sich Bark ganz an die Wand gedrückt. Drei oder vier der "Jugendfreunde" hatten sich zugleich zu Wort gemeldet und begannen zu erzählen. Von einer Fahrt in einem LKW, der mit Holz gefeuert wurde und in einer Tour "Blaff" machte, nein "Bläff", wie ein Mädel dazwischen rief, so dass alle laut auflachten. Von irgendeinem Lustgarten war die Rede, wo Tausende von Menschen und irgendein Präsident waren, der auf der Tribüne stand. Und an der Tribüne seien sie alle vorbei gezogen.

Karl Tertzel, den Bark daher kannte, daß er manchmal anstelle eines Lehrers Aufsicht auf dem Schulhof führte, setzte sich endlich durch, weil er die kräftigste Stimme hatte:
"...als ich an unserem Gubener, unserem Wilhelm Pieck, vorbeikam, da habe ich alles ringsum vergessen, kann ich euch sagen. Dabei haben wir doch alle laut in Sprechchören geschrien und mit den Händen über dem Kopf geklatscht. Aber in meinen Ohren war eine Ruhe. Ich weiß auch nicht!"

"Erzähl noch das Ding mit Dieter Wanzke, ha , ha ..." rief da schon wieder jemand dazwischen.

"ja doch, ja, ja" sagte Karl, als ob geistig weggetreten war und sich erst wieder auf die Gegenwart besinnen müßte. "Also das war ein Ding! Plötzlich - wir waren schon längst an der Tribüne vorbei und wollten zusammen wieder zum LKW - da merkten wir, daß Dieter nicht da war. Wir gerufen, rumgelaufen und gesucht. Aber Dieter war weg. Na schön, haben wir eben gewartet. Einige kauten noch an der Bockwurst, die es 100 Schritt nach der Tribüne für jeden gegeben hatte. Nach einer geschlagenen halben Stunde kam Dieter dann angetrabt.

"Wo warst du denn bloß", haben wir gefragt. Aber er wollte nicht gleich raus mit der Sprache. Na, schließlich hat er dann eingestanden, daß er an der Tribüne noch einmal vorbeigezogen ist, weil er noch eine Bockwurst haben wollte ..."

Jetzt ging alles in Gelächter unter, auch die Versicherung, daß Dieter Wanzke tatsächlich noch eine zweite Bockwurst abbekommen hatte.

Wenig später hockten Bark, Gania und Ude wieder auf ihren Telegrafenmasten.

"Möchte bloß mal wissen, warum die Jugendfreunde . komische Anrede! - nach Berlin gefahren sind. Was war denn da los?" meinte Bark.

"Was, das weißt du gar nicht?" lachte Gania. "Da ist ein Staat gegründet worden! Erst haben die drüben einen Staat gegründet, eine Bundesrepublik. Und jetzt unsere, eine DDR. Staaten werden heutzutage gegründet, sage ich dir, das geht wie`s Brezelbacken!"

"Ach so. Na ja, in der Zeitung stand`s ja", antwortete Bark. Ganz so ahnungslos war er nun auch wieder nicht. Aber daß die "Jugendfreunde" da gleich einen derartigen Aufmarsch veranstaltet hatten, das hatte er nicht mitgekriegt. Jugendfreunde! Dieses Wort kannte Bar von den Alten her. Sie nannten diesen oder jenen ihren "Jugendfreund", und dann erzählten sie irgend eine alte Kamelle, die den Jungen kaum interessierte, weil ihn das kaum etwas anging, was die Alten da mal ausgefressen hatten.
Und nun nannten die sich hier schon jetzt "Jugendfreunde. Dabei waren sie doch überhaupt nicht schon alt, im Gegenteil! Sie waren ja so jung und unbändig.

"Ein lustiger Haufen sind sie jedenfalls, diese Jugendfreunde", lachte Bark.
"Also, mir hat´s gefallen, nicht so andächtig wie bei Otto Boin", rief Gania. "Was meinst denn du, Ude?"
Ude war von der bedächtigen Sorte. Er zog den Mund schief, hob etwas die linke Schulter, als hätte er Ischias und bemerkte zurückhaltend:
"Na ja, die schlechtesten sind sie nicht. Man muss mal sehen..."

Noch tat sich nichts Besonderes. Bark, Gania und Ude trafen sich jeden Tag in den Schulpausen und oft auch nach der Schule. Der Deutsch-Lehrer Wirth, genannt Wirthchen, ließ fast jede Woche einen längeren Hausaufsatz schreiben.
Eine Zeit lang hatten sich die Penner der Zehnten im Unterricht mit der Entstehung und Bedeutung der Sprichwörter beschäftigt. Der Aufsatz zu diesem Thema lautete dann: "Erläutere den Inhalt des Sprichwortes `Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein´. Erläuterungen und fachliche Darlegungen hasste Bark. Er entschloss sich also, statt dessen eine Geschichte zu erfinden, die den Inhalt des Sprichwortes klar macht. Er schilderte also abenteuerlich, wie ein Jäger einen Wilddieb so lange verfolgte, bis der in eine Fallgrube fällt, die er selber angelegt hatte, um Wild zu fangen.
Wirthchen mag geschmunzelt haben über die naive Patentlösung. Aber die rege Phantasie und die überall durchscheinende Naturliebe sowie die Unverfrorenheit, mit der dieser Schüler dieses Thema auf sein eigene Art behandelte, imponierten dem erfahrenen Lehrer.
Von Günter Brock Wurde weder vor noch nach der "Wende" gedruckt

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sylke ( Gast )
Beiträge:

12.06.2014 20:10
#22 RE: Good info Antworten

Wenn dein Manuskript nicht gedruckt wurde,dann weil es zu sehr regional bezogen ist. Und vielleicht war es auch einfach nicht gut genug.Das System ist jedenfalls nicht schuld
Man sollte sich lieber auf die wirklich wichtigen Sachen konzentrieren. Hilfst Du Deiner Frau im Haushalt?
Sylke

BüBro Offline



Beiträge: 1.510

13.06.2014 12:19
#23 RE: Good info Antworten

Zitat von Gast im Beitrag #22
Wenn dein Manuskript nicht gedruckt wurde,dann weil es zu sehr regional bezogen ist.

Ja, ich hätte noch die Nazis in größerer Zahl einbeziehen sollen



Und vielleicht war es auch einfach nicht gut genug.Das System ist jedenfalls nicht schuld

Meinst Du das Nazisystem oder das DDR-System oder das BRD-System?



Man sollte sich lieber auf die wirklich wichtigen Sachen konzentrieren. Hilfst Du Deiner Frau im Haushalt?
Sylke


Das hat mir meine Frau auch schon gesagt. Deshalg mach ich jeden Tag den Haushalt, und sie geht arbeiten.

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Wolf ( Gast )
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14.06.2014 10:41
#24 RE: Good info Antworten

Zitat Bübro: Ich war einer der letzten der sogenannten „Hitlerjungen“, der „Pimpfe“. Vom 1. 1. 1944

Was habe ich da nicht alles erlebt!!!

Hallo Bübro, was Du erlebt hast, ist allerdings nicht so außergewöhnlich. Millionen waren 1944 noch als Pimpfe unterwegs, Millionen erlebten den Einmarsch der Roten Armee und Millionen gingen auf Hamsterfahrt.

BüBro Offline



Beiträge: 1.510

14.06.2014 22:13
#25 RE: Good info Antworten

Zitat von Gast im Beitrag #24
Zitat Bübro: Ich war einer der letzten der sogenannten „Hitlerjungen“, der „Pimpfe“. Vom 1. 1. 1944

Was habe ich da nicht alles erlebt!!!

Hallo Bübro, was Du erlebt hast, ist allerdings nicht so außergewöhnlich. Millionen waren 1944 noch als Pimpfe unterwegs, Millionen erlebten den Einmarsch der Roten Armee und Millionen gingen auf Hamsterfahrt.


Hallo Wolf!
Ja, da habe ich mich schlecht ausgesprochen. Ich hätte zur leichteren Erkenntnis schreiben müssen:
"Ich war einer der letzten neuen sogenannten... Und dann erst: "Vom 1.1. 1944."


Du schreibst dann: Hallo Bübro, was Du erlebt hast, ist allerdings nicht so außergewöhnlich. Du meinst, dass Jungpimpfe einem fanatischen Fähnleinführer verweigerten zum "Dienst" zu kommen.

Dann schreibst Du: Millionen erlebten den Einmarsch der Roten Armee und Millionen gingen auf Hamsterfahrt.[/
Da hast Du natürlich leider voll Recht. Auch geschrieben haben darüber mindestens Tausende. Vielleicht wahrscheinlich auch ein paar mutige DDR-Bürger in der DDR-Zeit offen geschrieben haben, was Tausende Frauen beim sowjetischen Einmarsch erlebten. BüBro

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Ralf Malachowski ( Gast )
Beiträge:

15.06.2014 16:16
#26 RE: Good info Antworten

Hallo Günter! Eigentlich wollte ich ja nicht mehr für das Forum schreiben! Aber Deine Kriegserlebnisse haben mich beindruckt! Genauso wie Günter Walter seine Erlebnisse von den Bombennächten von Dresden erzählte. Wie die Erlebnisse sich doch ähneln in Eure Generation! Mein Vater hat ähnliches erlebt, Flucht aus der Ukraine, Mutter beim Bombenangriff verloren. Vater und Bruder vom Russen verschleppt, von der Tante gross gezogen. Mein Vater ist auch 1934 geboren. Bloss Pimpf und HJ ist ihm in der Ukraine erspart geblieben, auch wo die Wehrmacht eimaschiert ist. Vor 1941 haben Deutsche, Ukrainer und Russen friedlich miteinander gelebt, jedr konnte seine Sprache sprechen. Diesr Scheiss Hitler hat ales kaputt gemacht. Meine Mutter meine beiden Tanten mussten aus Schneidemühl fliehen über Nacht! Mein Opa müttericher Seits hat Hitler nicht erlebt Mein Opa war in der SPD in Schneidemühl. Es ähnelt sich alles! Meine Mutter hat auch gesagt das die Russen den Kinder Brot u. Bortsch (Wohlschmeckende Kohlsuppe) ab gegeben haben. Ich finde es gut das Du auch geschrieben hast das Du bei den Pimpfen warst! Freiwillig! Mancheiner streitet es bis heute ab. Was bidet sich dieser Wolf ein? Im Nachhinein so eine Beurteilung loss zulassen das ist schon verachtend u. arogant! Schade das die Sachen nicht gedruckt wurden Es müssten viele ältere Menschen ihre Erlebisse erzählen, gerade an Schulen! Ich verstehe auch nicht wie ein junges Mädchen schreiben kann mit der Frage ob Du deine Frau im Haushalt hilfst? So ich muss erst mal Schluss machen. Ich muss das erst mal verarbeiten! Bin beim Überlegen ob ich die Fluchtgeschichte von meinem Vater veröffentliche? Gruss Ralf Malachowski

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