Vor über drei Jahren habe ich geschrieben:
Ein Arbeitsplatz an der Sonne
Kann das Schicksal der Menschheit in der Hand eines Einzelnen liegen? Wir wissen, dass das kaum einmal der Fall sein wird. Und trotzdem – der Arbeitsplatz von Professor Dr. Robert Wolf steht an einer Stelle, wo es von seinem großen Wissen, von seiner reichen Erfahrung und von seinem Geschick als Leiter abhängt, ob nach der Erschöpfung der fossilen Brennstoffe die Menschheit ausreichend mit dem Stoff versehen wird, von dem ihre weitere Existenz abhängt, von der elektrischen Energie.
Seit August 2006 arbeitet der 1964 in München geborene Wissenschaftler in der Leitung des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik Greifswald. Hier erlangt zum zweiten Mal in der jüngsten Geschichte die altehrwürdige Universitätsstadt den Ruf eines Zentrums der Kernenergie. Dies Mal ist es allerdings nicht ein Vorstoß in die Spaltung von Atomkernen, sondern ins Gegenteil davon, in die Kernverschmelzung.
Für diese verantwortungsvolle Arbeit ist Professor Wolf bestens vorbereitet. Nach seinem Physikstudium in Aachen, der Promotion am weltgrößten Experiment zur Kernfusionsforschung, dem sogenannten JET, nach zehn Jahren Experimentalphysik und Plasma-Forschung nun die faszinierende Aufgabe, ein Kraftwerk zu vollenden, das die Ttauglichkeit des Experimenttyps, zu dem „Wendelstein 7-X gehört, beweisen soll. In einem späteren, industriemäßigen Fusionskraftwerk könnte man dann aus einem Gramm Kernbrennstoff 26 000 Kilowattstunden Strom herstellt, was der Verbrennung von 11 Tonnen Kohle entspricht.
Obwohl die Forschungen für diese Vision schon seit den fünfziger Jahren in allen großen Industrieländern der Welt laufen, können sich die meisten Erdenbürger gewiss immer noch nicht vorstellen, dass schon von etwa 2025 an aus den beiden mikroskopisch kleinen Kernteilen Deuterium und Tritium Energie für zehntausende von Jahren geliefert werden kann, und das ohne die von bisherigen Kernkraftwerken ausgehende Gefahr sowie in so großer Menge, dass es für alle Menschen reicht.
Für solch ein epochales Ziel führend mitzuwirken, kann man Professor Wolf wahrlich nur höchlichst beneiden. Aber das merkt man ihm nicht an. Er spricht lieber von den komplizierten und nicht gelösten Forschungs- und Erprobungsarbeiten, die noch zu bewältigen sind.
Worum geht es? Um diese Frage einigermaßen zu beantworten, sind nicht gerade wenige, aber grundsätzliche Erklärungen nötig.
Wie so manche technische Neuheit ist auch die kontrollierte Kernfusion ein Ableger der Kriegstechnik. Ende der vierziger Jahre ging die erschreckende Nachricht um die Welt, dass sogenannte Wasserstoffbomben erprobt wurden, die eine Zerstörungsgewalt offenbarten, wie sie mit noch keiner anderen Waffe erzielt wurde.
Mitten in diesem Akt des Kalten Krieges warfen da Forscher die Frage auf: wie könnte man solch eine Energiequelle friedlich nutzen. Wie könnte also anstelle der alles vernichtenden Explosion eine gesteuerte, Segen bringende Eheschließung der beiden hitzigen Isotope vollbracht werden? Um eins kam man natürlich nicht herum: Braut und Bräutigam müssen mit wahnsinniger Geschwindigkeit ins „Ehebett“ geschleudert werden, damit sie sich vereinen. Und zweitens musste der Brennstoff mit seinen 100 Millionen Grad Hitze irgendwie aufgefangen, gekühlt und in eine Leitung zu den Turbinen „transportiert“ werden. Aber woraus kann man ein Gefäß und einen Raum produzieren, die bei Sonnenhitze nicht augenblicklich zerschmelzen?
Und siehe da, dieselben Forscher, die die sowjetische Wasserstoff-Bombe entwickelt hatten, Mitarbeiter des Moskauer Kurtschatow-Instituts, legten ein „Ei des Columbus“: Sie kamen auf die Idee, dass die Erhitzung des Brennstoffes bis zur Sonnenglut nur dann machbar und beherrschbar ist, wenn der Brennstoff in einem Vakuum schwebt, denn in einem absolut luftleeren Raum, wie z. B. dem Kosmos, wird Wärme, auch glühendste Hitze, bekanntlich nicht weitergeleitet.
So kam es, dass kurz nachdem der heutige Professor Robert Wolf geboren wurde, eine Anlage gebaut wurde und als eine künstliche Mini-Sonne zur Welt kommen konnte. Sie wurde auf die russische Abkürzung für die Fachbezeichnung „Toroidale (kreisformige) Kammer mit Magnetfeldspulen“, ToKaMak, getauft und in der ganzen Welt nachverwendet.
Die Tokamaks brachten und bringen weiterhin wertvolle Forschungsergebnisse, sie haben aber einen Nachteil: Sie können nur pulsierend arbeiten. Das würde aber bestimmte Bauteile eines künftigen Kraftwerkes zu stark belasten.
Und so wurde mit Bravour die Erfindung eines amerikanischen Forschers aufgegriffen, der eine Reaktorvariante entwarf, die von vornherein Dauerstrom liefern wird. Der magnetische „Käfig“ für den Brennstoff wird hier allein durch ein Spulensystem gebildet. Dieses Projekt erhielt den Namen „Stellarator“ nach dem lateinischen Wort für Stern. Denn das ist es ja, was der Mensch sich anschickt zu erreichen: Energie zu produzieren, wie es die Sterne und eben auch die Sonne tun – durch das Verschmelzen von leichten Atomkernen, wie in unserem Fall Deuterium und Tritium.
Genau so eine Anlage ist es, die im mecklenburg-vorpommerschen Greifswald gebaut wird und seit drei Jahren dem Wissenschaftler Wolf und seinen 450 Mitarbeitern zur Erprobung und Vollendung anvertraut ist. Sie befindet sich im fortgeschrittenen Stadium der Montage. Auf den ersten Blick eines Laien – ein schier undefinierbares Gewirr von Spulen und Rohrleitungen. Und doch ist hier jeder Millimeter von Computern haargenau berechnet. In fünf Montageteilen, sogenannten Modulen, wird das Experiment einen fünf-förmigen Tunnel umschließen, in dem Plasmen aus Wasserstoff und Deuterium untersucht werden. Der Durchmesser der Anlage wird 16 Meter betragen. Darin wird man das Plasma mit einem Volumen von 30 Kubikmetern für eine Dauer von 30 Minuten mit den Magnetfeldern einschließen und so die Kraftwerkstauglichkeit des Konzepts nachweisen, auch wenn noch keine Energie erzeugt wird. Der ursprüngliche Termin ist längst überschritten, der neue heißt 2014. Erst dann wird sich erweisen, ob der Stellarator tatsächlich dem russischen Tokamak überlegen ist. Ein wissenschaftlich-technischer Vergleichskampf, wie es ihn in der Forschung wohl noch nie gegeben hat.
Als einer von drei Direktoren des Greifswalder Max-Planck-Instituts steht Professor Wolf mitten drin. Der Münchener hat sich in Ostvorpommern auch privat gut eingelebt.
„Wir haben hier viel freundschaftlichen Kontakt zu den Familien von einheimischen Fachleuten gefunden. Die Plasma-Forschung ist in der Uni Greifswald seit langem beheimatet. So stehen wir uns ständig mit Rat und Tat zur Seite“, sagt er.
Sowie nach England, Frankreich und Berlin hat den Wissenschaftler auch hierher seine Familie begleitet, und das sind seine Frau, von Beruf Chemikerin, und die fünf Kinder im Alter von zweieinhalb bis 16 Jahren.
„Im Winter ist es ja oft trüb in dieser Gegend, aber das macht der Sommer umso reichlicher wieder wett“, versichert Professor Wolf mit zufriedenem Lächeln.
Aber viel Zeit für private Freiheit hat er ja ohnehin nicht. Zu dringend, zu umfangreich, zu kompliziert und herausfordernd sind immer noch die Sorgen, Probleme und die Lasten der Verantwortung, die zu bewältigen sind.
Da geht es gegenwärtig darum, dass der Plasma-Brennstoff absolut stabil eingeschlossen sein muss. Verunreinigungen des Plasmas müssen möglichst total ausgeschlossen werden. Und dann noch das Heizsystem! Im Kellergeschoss der Forschungsstätte kann man sie sehen, die zehn Mikrowellensender, die dem Plasma eine Starttemperatur von Sonnenglut verleihen müssen, damit die Kernfusion ausgelöst werden kann. Jeder einzelne so leistungsfähig wie 1 000 „Mikrowellen“, die wir zuhause in der Küche zu stehen haben.
So ist es noch ein weiter Weg, bis Besucher des Max-Planck-Instituts in fünf Jahren den wissenschaftlich anspruchsvollsten und technisch modernsten Stellarator der Welt bewundern und die Vorstellung genießen können, dass nur einige Meter von ihnen entfernt die Glut einer künstlichen Sonne herrscht, ohne dass auch nur das geringste davon zu merken ist.
Günter Brock
Sehr geehrte Frau Kemnitz (hoffentlich richtig geschrieben),
hier schicke ich Ihnen die neue Fassung meines Artikels über Herrn Professor Wolf und sein Werk, wie ich ihn mir nach meinem Besuch und nach der Lektüre der Broschüre vorstelle. Hoffentlich habe ich nicht zu viel Laienfehler verbrochen. Es soll ja für einen breiten Leserkreis verständlich sein. Ich bin natürlich für jeden fachlichen Einwand dankbar.
Herzliche Grüße und schon jetzt Dank für Ihre Bemühungen
Günter Brock