Hallo Waltraud, Du hast mir - dankenswerter Weise – den „Leitantrag des Bundesvorstandes“ zugesandt. Damit ich das lesen und Hurra schreien soll? Das wirst Du doch nicht wollen, oder? Tja – vor mir liegen 378 Zeilen voller gut gemeinter und z. T. auch längst fälliger Leitanträge. Oben drüber: schon mal vier Leit-Schlagwörter! Und da geht es schon los. Herrgott, sind unsere Berliner Hochgenossen so weltfremd, dass sie nicht wissen: Sowas kann jede, aber wirklich jede andere Partei auch über ihr Votum schreiben. Nun ja, ich habe trotzdem weiter gelesen. Zuerst die Einleitung! Und sofort wieder mal eine fette Zwecklüge: die Partei habe sich „konsolidiert“! Wahrlich – von der ganzen WASG ist nur noch ein Höflichkeitsvertreter als Doppelkopf übrig geblieben, von seinen Leuten und deren ursprünglichen Vorstellungen ist kaum noch was zu hören. Dass die 12 Prozent von 2009 zur Hälfte auf die WASG zurückzuführen waren, kein Wort. Dann eine Neuerung: es wurden Fehler gemacht. Ich atmete auf: jetzt wirst du erfahren, welche Fehler, wer ist schuld, was für Leute sind das, die da Fehler machen, wie stehen sie heute dazu – Fehlanzeige. Wie weiland 1956: „Keine Fehlerdiskussion, Genossen!“ Aber ich sage Dir, liebe Waltraud: „Wer seine Fehler nicht analysiert, macht sie immer wieder.“ Statt dessen kommen über 300 Zeilen Anleitungen, ohne ein Datum für konkrete Forderungen oder Aktionen, ohne Beispiele aus der Praxis, ohne Hinweise auf falsches Vorgehen, ohne namentliches Lob für irgendeinen Erfolgreichen im weiten Land. Alles ohne Leben – ein einziges Referat aus der Parteihochschule. Man ackert sich durch dank Parteidisziplin. Schließlich kommt man zu dem überraschenden Schluss-Satz: „DIE LINKE muss sich selbst verändern,...“ Nun ja – das habe ich schon vor zwei langen Jahren geschrieben in meinem Fazit aus der Diskussion über das neue Parteiprogramm. Unter der Überschrift „Neues Denken in der Linken!“ habe ich die zehn Schreibmaschienen-Seiten an eine ganze Reihe von Zuständigen gegeben. Nicht einer hat mir geantwortet. Ich schicke es auch Dir, wenn du es lesen willst. Es ist noch genauso aktuell wie heute der „Leitantrag“. Herzliche Grüße von Günter Brock Und – weiter reichen, wie mal beschlossen wurde!
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Teil 2 zum Thema Leitantrag: Vollkommen nötig und gut gemeint der letzte Absatz des Leitantrags:Die Gewinnung neuer Mitglieder, darunter insbesondere junger Menschen und 358 Frauen, muss Bestandteil aller Wahlkämpfe, Kampagnen und Aktivitäten vor Ort 359 sein. Die Gewinnung neuer Mitglieder ist nur dann erfolgreich, wenn DIE LINKE als 360 Mitgliederpartei, als Partei zum Mitmachen, Mitbestimmen und Mitdiskutieren 361 wahrgenommen und vor Ort erlebt wird. 362 Zu viele neue Mitglieder verlassen unsere Partei bereits nach kurzer Zeit wieder. 363 Um neu gewonnene Genossinnen und Genossen zu halten, muss die 364 Neumitgliederbetreuung in den Kreis- und Landesverbänden ausgebaut werden. 365 Dazu gehören die persönliche Ansprache, konkrete Angebote wie z.B. 366 Neumitgliederseminare, aber auch ein solidarisches Parteileben, das offen ist für 367 neue Menschen mit ihren Ideen und Anforderungen. 368 Um mehr Genossinnen und Genossen für eine aktive Mitgliedschaft zu gewinnen, 369 wollen wir an die guten Erfahrungen mit dem Beteiligungskonzept "linksaktiv" 370 anknüpfen und Genossinnen und Genossen, die sich im Rahmen von Kampagnen 371 und Themenschwerpunkten vor Ort engagieren wollen, genauso gezielt 372 unterstützen wie solche, die als Betriebsräte oder Seniorenvertreter aktiv sind. 373 Wir wollen die politische Bildungsarbeit auf allen Ebenen stärken und ausbauen. 374 Das beinhaltet sowohl die politische Grundlagenbildung als auch die konkrete 375 Qualifizierung für die Herausforderungen der Parteiarbeit.
Längst fällig diese Worte, aber viel zhu allgemein. Vor allem: wo ist die Selbstkritig, damit Initiative vor Ort geweckt wird?
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Teil 3 zum Leitantrag: Den folgenden Text habe ich vor 2 Jahren in meinem Pamphlet "Neues Denken in der Linken!" zu dem obigen Thema (Teil 2)geschrieben.
Wir waren nun mal die materiell Schwächeren und haben viele Ideale des Sozialismus mit ‚Füßen getreten und so sind die Leute bis in die Herzen vom äußeren Schein der sog. Marktwirtschaft, von billiger Demokratie und geldabhängiger Freiheit geblendet. Eine in 200 Jahren erprobte und aufgeblähte Massenmedien-Propaganda hat da einen vollen Sieg errungen. Den müssen wir ganz einfach anerkennen und dann die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Dazu ist ein völlig neues Denken erforderlich: In den drei Jahren seit der Fusion mit der WASG bin ich fast täglich auf Überbleibsel des ehemaligen Parteidenkens und -handelns gestoßen. Ich meine damit Zielsetzungen, die man sich nun mal nur stellen kann, wenn man im Land die führende also verantwortliche Partei darstellt, ferner die Unterschätzung des Gegners, die Überschätzung der eigenen Erfolge, das Verschweigen eigener Fehler, eine regelrechte Feindseligkeit gegen abweichende Auffassungen, gegen Neuerungsversuche und Selbstkritik, herrisches Verhalten und Überheblichkeit gegenüber direkten und potentiellen Verbündeten, mangelhafte Diplomatie und in der Dialektik in der Wirkung nach außen. Beispiele dafür erlebte ich in der Art und Weise der Fusion mit der WASG, im Wuchern der Nostalgie, im mangelnden Kontakt mit anderen linken und halblinken Parteien, an der Formalität der Großveranstaltungen, bei der mangelnden Präsenz im Außerparlamentarischen, in der Abstempelung und gar Anfeindung von Andersdenkenden. Wendungen wie: du ewiger Nörgler, willst dich wohl dicke tun, denkst wohl, du bist klüger als andere, Spinner, du hast mal das und das gesagt, willst wohl in der Vergangenheit wühlen, anstatt nach vorn zu orientieren, keine Zeit, mit dir zu diskutieren, andere Leute haben auch eine Biographie, ich nehme dich nicht mehr ernst... All so was habe ich in den drei Jahren zu hören gekriegt. Alles - unproduktives Larifari.
Eigentlich müsste das Pamphlet in aller 10-Seiten-Länge gedruckt werden. Typisches Beispiel für die Geringschätzung politischer Auseinandersetzung ist ja auch dieses mit viel Mühe errichteten Politikforums: über 1 500 mal angeklickt und gelesen, aber nur 1oo mal eine eigene Aussage zu den 40 Themen die ich hier geschrieben habe. GB
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In dem Leitantrag heißt es ferner: Notwendig ist eine Konzentration auf Schwerpunkte. 313 Unsere Kampagnen und Aktionsschwerpunkte sollen die für die 314 Bevölkerungsmehrheit relevanten Themen aufgreifen, an der Lebenswirklichkeit 315 und Konflikten vor Ort ansetzen und damit verknüpft werden. Dabei sind 316 insbesondere auch unsere Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker zu 317 unterstützen.
Nun ja, das ist zweifellos richtig. Aber unsere Anleitungen müssen konkreter sein. Im "Beues Denken in der ÖLinken" habe ich mal - nur zur Anregung - ein paar Ideen aufgezählt:
Es bringt doch nichts, wenn wir uns beispielsweise zur Frage der Fahrtgeschwindigkeiten, der Einwanderungsprobleme, der Ein-Euro-Jobs oder des Rauchverbotes in Kneipen äußern. Nicht einmal die Konsolidierung der Staatskassen ist unser Bier. Da verprellen wir doch nur entweder die, die dafür oder die, die dagegen sind, In all solchen Fällen können wir doch mal geruhsam antworten: „Wir sind nicht die Regierung, Wendet euch an Frau Merkel oder Herrn Ackermann. Wenn ihr uns nicht wählt, können wir euch nicht helfen.“ Weniger Prestigekampf mit den Parteien, mehr direktes Ansprechen der Bürger, ist meine Meinung. Zu wenig und zu dilettantisch nutzen wir das Medienmittel „Pressekonferenz“. Natürlich lockt die Journalisten nicht die Ankündigung einer Willenserklärung, die Werbung für eine Parteiveranstaltung oder gar eine Selbstlobrede. Gefragt sind aber, schon aus Neugier und Befürchtung der Konkurrenz: Sensation, Prominenz, Opposition, Provokation, Anklage, Enthüllung, Selbstkritik, Kurswechsel, Rechtsfragen... Nehmen wir noch mal die Frage, ob sich eine Partei „Christlich“ nennen darf. Eine entsprechende Eingabe der Linkspartei an das Verfassungsgericht würde sehr wohl die Presse aufmerksam machen. Oder eine Anklage gegen die Regierung wegen ihrer Rüstungspolitik, z. B. die bevorstehende Ausgabe von 6,6 Milliarden für die neuen Transporter der Bundeswehr, die das Ausmaß des Panzerkreuzerbau-Projektes der 20er Jahre übertrifft. Und – es ist egal, ob dabei gleich immer etwas Konkretes heraus kommt. Wichtig ist viel mehr, dass Tausende von Menschen mal ein bisschen mehr zum Nachdenken angeregt werden. Fast gar nicht nutzen wir die Kampftechnik der Verweigerung. Das kann man ohne Gefahr oder Selbstschaden anwenden und den Gegner in Schwierigkeiten bringen. Zum Beispiel ist doch gegenwärtig zu erwarten, dass die Strompreise erhöht werden. Wie wäre es, wenn die Linke die SPD und die Grünen aufforderte, gemeinsam die Bevölkerung, sagen wir, an einem bestimmten Tag zu einer „Kerzenstunde“ in allen Haushalten aufzurufen? Bestimmt werden wir Massen von Bürgern auf unserer Seite haben, und die Konzerne müssen reagieren, gewiss nur mehr oder weniger, aber die Menschen spüren mal ihre Macht.
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